
„Mit sich selbst in Frieden leben ist wohl das höchste Glück auf Erden.“ (Mathias Claudius)
Ich habe sehr viel Verständnis. Für das Bedürfnis nach Normalität. Nach Kontakt. Mehr als einem Kontakt.
Kein Verständnis habe ich aber, wenn sich einen Haufen Menschen treffen. Überall. Die sich dann auch noch gegenseitig versichern, dass sie „es“ ja nicht haben. Die sich nahe kommen. Lange zusammen sind. Parties feiern. Heimlich, klar, weil die anderen, die sich dran halten, die sind ja potentielle Denunzianten …
Machmal erlaubt sich das Klugscheißer-Ich dann doch verstohlen die Frage, woher sie „es“ denn wissen, dass sie „es“ nicht haben. Und dann kommt tatsächlich das Argument, dass sie ja noch alles schmecken und riechen … Ach ja, stimmt, ist ja nur für die schlimm, die krank werden. Dass ich mich vor allem so verhalte, dass ich niemanden anstecken kann? Selber schuld.
Was mich freuen würde, wenn die Zahlen mal wieder wenigstens so weit runterkommen, dass es mit vor einem Jahr vergleichbar wäre. Denn irgendwie sprechen alle darüber, dass es mal langsam vorbei sein muss. Die aktuellen Zahlen? Liegen aber weit über denen, die uns – übrigens allen – im März 2020 Angst gemacht haben. Punkt.
Erinnern wir uns – vor einem Jahr, Da haben sich alle gewünscht, dass endlich mal wieder „so richtig“ Winter sein soll. War überall zu lesen, in den Medien, wie sehr wir unter diesen Nicht-Wintern ohne Schnee leiden – wohlgemerkt die Auswirkungen auf den Menschen, unsere Sehnsucht, nicht die Bedürfnisse der Natur, eher die psychischen Auswirkungen des Nichterfüllten Wunsches. Darüber haben sowohl Journalisten nach gründlicher Recherche wie auch Privatmenschen oder Experten in den sozialen Medien viel und fundiert und teils sehr „hasserfüllt“ geschrieben. Ganz viele wurden sogar in für Wintersport bekannten Regionen enttäuscht. Da war so viel Sehnsucht. Sogar Wut, weil „wir nie Schnee haben“.
Gerade bekommen wir Winter in Hülle und Fülle. Mit allem, was dazugehört. Sogar in Regionen, die fast nie Schnee haben … Und schon wieder sind so viele unzufrieden. Mit Winter. Und Schnee. Irgendwie schade. Dass unser Wunsch in diesem Jahr so gar nicht zur Wirklichkeit passt – hätten wir nur vor einem Jahr schon diesen Wunsch nach Nicht-Winter gehabt. Das würde uns so viel zufriedener machen …
Und nur als weitere kleine Erinnerung: vor knapp 12 Monaten hat meine „Timeline“ durch die Bank geächzt. Alle wollten es etwas ruhiger, weniger Termine, mehr Ich-Zeit … warum nur klaffen Wunsch und Wirklichkeit mit der Erfüllung offensichtlich so weit auseinander? …?
Heute Nachmittag schaut Paula den Nachbarmädels beim Spielen zu. Die Große rennt mit ihrem Fotoapparat durch den Garten. Immer wieder muss die kleine eine Blume in die Hand nehmen und pusten. Das schein den beiden großen Spaß zu machen, sie lachen und streiten gar nicht, wie sonst oft. Irgendwann meint die Große: „…und jetzt darfst du dir was wünschen – also erst was wünschen und dann pusten. Dann geht der Wunsch in Erfüllung!“
„Echt?“ Die kleine Schwester ist ganz begeistert und ruft laut: „Iiiich wünsch mir, dass die Ausgangsbeschränkungen vorbei sind und ich wieder alle treffen darf, Familie und Freunde …“ und sie pustet und pustet, bis alle kleinen Flugschirme in alle Richtungen davonfliegen.
Oh, das ist ein schöner Wunsch. Das will Paula auch. Sie hüpft durch ihren Garten und bei jeder Pusteblume pustet sie und pustet und pustet … schließlich legt sie sich erschöpft in die Nachmittagssonne und schläft ein bisschen. Als sie aufwacht hört sie, wie Herrchen und Frauchen sich unterhalten. Karin erklärt Andi: „Also, man darf die Familie wieder besuchen, und Freunde darf man auch treffen. Und ein paar Klassen dürfen wieder in die Schule gehen …“
So schnell können Wünsche in Erfüllung gehen. Hach. Paula saust lächelnd und mit fliegenden Ohren zum Gartenzaun. Auch dort führen zwei einen Freudentanz auf. Auch wenn sie selbst nicht in die Kita darf, die sie sehr vermisst, die kleine Schwester freut sich mit der Großen über ein bisschen Normalität.