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Cidade Maravilhosa

„Wenn eine Stadt sich rühmen kann, den Besucher auf den ersten Blick durch ihre Schönheit zu betören, dann diese. Für viele Menschen ist die Bucht von Rio die schönste der Welt. Vor einer steil aufragenden Kulisse von Hügeln und steil aufragenden, bizarr geformten Bergen erheben sich grüne Inseln aus dem tiefblauen Atlantischen Ozean, recken inmitten einer Natur, die auf den ersten Blick beinahe unberührt erscheint, imposante Stadtviertel ihre Betonfassaden in den Himmel.“


So ähnlich liest sich das Loblied auf Rio nicht nur in „Länder und Menschen Südamerikas“ aus den 80ern querbeet, und da steckt viel Wahrheit drin. Die Stadt hat etwas fast magisches. Kaum anderswo kann man Natur, Gegebenheiten, Architektur und schlicht alles, was das Auge aufnehmen kann, so schön erleben, wie hier. Nicht so die anderen Sinne, denn Rio stinkt, ist laut, und die Atmosphäre ist angespannt, gereizt.

Im Vorfeld war mir nicht so sehr bewusst, wie spannungsgeladen die Situation vor Ort ist. Hatten Stadt und Drogenkartelle vor den Großereignissen WM2014 und Olympia2016 eine Vereinbarung getroffen, ist die Mafia jetzt damit beschäftigt, sich „ihre“ Territorien zurückzuerobern. Täglich kommt es zu Schießereien, die Situation ist tatsächlich gefährlich. Der Sicherheitshinweis des Konsulats lautet: „Die Gefahr, Opfer eines Raubüberfalls oder eines anderen Gewaltverbrechens zu werden, ist in Brasilien erheblich höher als in Westeuropa. … Besonders stark von Kriminalität und Gewalt betroffen sind Armensiedlungen (Favelas). Von Favela-Besuchen wird daher dringend abgeraten. Diese Gebiete werden teilweise von Kriminellen und Drogenbanden kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer.“

Zum Glück musste ich die strikte Anweisung meiner Freunde, im Falle eines Überfalls Handy und Bargeld sofort herauszugeben, nicht Folge leisten. Ich habe mich aber schweren Herzens entschieden, nicht in die Favellas hineinzuwandern – und die Kamera habe ich, außer auf einer Rundtour, schlicht eingepackt gelassen. Wir haben einige Male Schüsse gehört, allerdings in weiter Entfernung. Und auch Kriminalität habe ich nicht gesehen. Zum Glück. Unfassbar für mich war die Omnipräsenz von Polizei, Stadtmiliz und Militär, immer in schusssicheren Westen und bis an die Zähne bewaffnet, auch in vermeintlich sicheren Stadtgebieten …

Was mich umgehauen hat, war die niederschmetternde Not, inmitten der Reichen und Schönen, inmitten der Louis-Vuitton-Blase, habe ich mehr Armut gesehen, als ich ertragen kann. Sehr mitgenommen hat mich eine alte Frau, die zu stolz zum Betteln war – sie akzeptierte Geld nur von Menschen, die es ihr mit einem Gespräch aufdrängen, meines hat sie liegenlassen, zugelassen, dass es ein anderer genommen hat. Ich habe Menschen gesehen, die in Mülleimern gewühlt haben, die vor Schwäche einfach umkippen … es hat mir einmal mehr klargemacht, wie gut es mir persönlich in meinem zufälligen Leben hier in Europa ergeht. Ich bin demütig, denn es gibt einen Unterschied zwischen sich einschränken müssen und der Nicht-Erfüllbarkeit der Grundbedürfnisse …

Für mich war es, obwohl ich Freunde besucht habe, eine Bildungsreise. Von der ich mir viele Gedanken zum Nachdenken mit zurückgebracht habe.

Das mit dem Hungern

Heute ist Welternährungstag – auch Welthungertag genannt. Denn viel zu viele Menschen leiden Hunger … Millionen kämpfen um ihr Überleben. Kinder sind unter- oder mangelernährt. Auf meinem Heimweg Sonntag war ich sehr stolz, dass meine Patenkinder sich für einen guten Zweck nicht nur interessieren, sondern sogar engagieren. Weil es nämlich nicht selbstverständlich ist, dass sie sich Gedanken machen. Versuchen, etwas von ihrem eigenen guten Leben zu teilen.

Direkt neben unserem Wohlstand existiert Not, können sich Menschen nicht leisten, ihren Hunger zu stillen. Ob nah, ob fern von unserem Alltag. Überfluss bzw. Elend ist Zufall. Nichts ist selbstverständlich. Jeder, der genug hat, kann nur bei sich selbst anfangen, etwas zu verändern. Achtsamer sein. Beim Einkaufen, beim Essen. Geben, wenn man kann. Hinschauen, bei anderen. Schadet es, sich das hin und wieder bewusst zu machen? Und dankbar zu sein? Meine Meinung: tut manchmal sogar richtig gut. Werde ich vielleicht beim nächsten Mal ins Spiel bringen, wenn eines der Patenkinder beim Essen motzt und nölt …?

1. Advent

Die letzten 2-3 Wochen merke ich, wie um mich herum die Betriebsamkeit so richtig losgeht: es werden Adventskalender gebastelt, Plätzchen gebacken, Geschenke organisiert, … Wie jedes Jahr stehe ich dem gelassen und ruhig gegenüber. Ich hab’s nicht so mit Vorweihnachtsstress. Wenn mir was vor die Einkaufstasche läuft nehm ich es gerne mit, mir reicht aber, am 24. vormittags loszuziehen und etwas zu besorgen. Und ich komme zum Jahresende auch gern etwas runter, nutze die besinnliche Zeit. Denke nach, zurück und nach vorne. Ja, ich lasse auch das Jahr gedanklich rekapitulieren. In erster Linie, weil es in der gefühlt schnelllebigen Zeit immer wieder Erlebnisse gibt, die so schnell vergessen werden, die keine Chance haben, sich in der Erinnerung zu verhaften. Für meine Adventszeit hab ich mir vorgenommen, mein Jahr ganz bewusst durchzudenken, mich zu erinnern.

Gedanken zum 1. Advent: kürzlich stand ich unter der Dusche. Von einer Sekunde auf die andere wurde aus angenehm warm bitterkalt, wenige Sekunden später war das Wasser schmerzvoll heiß, ich hab mich fast verbrüht. Und einmal mehr musste ich bemerken: nichts ist selbstverständlich. Wir leben inmitten einer Wohlstandsgesellschaft, müssen uns um wenig kümmern, vieles läuft vollautomatisch. Dass warmes Wasser kommt, dass wir eine Heizung aufdrehen können, dass es in Supermärkten Produkte aus aller Welt gibt. Wir nehmen das als gegeben hin, regen uns lediglich auf, wenn es nicht so ist, wie gewohnt. Zum Beispiel, wenn wir fürs Kochen eine Zutat brauchen, die Grade nicht vorrätig ist. Dabei ist nichts selbstverständlich. Es gibt keinen weltweiten Lebensstandard. Es gibt Hunger und Not. Auch schon in der Nachbarschaft. Beobachten, hinschauen, dankbar sein, für das, was man selber hat, und nach eigenen Möglichkeiten helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Das ist mein Adventsgedanke für heute.

Ich wünsche euch allen einen schönen ersten Advent xxx

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