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Spruch zum Wochenende: #ausgehetzt

Statt dem üblichen Kurzzitat möchte ich heute an dieser Stelle einen vollständigen Brief des von mir sehr geschätzten Musikers Martin Kälberer teilen, der nicht nur mich und Bayern, sondern alle zum Denken anregen soll:

Brief von Martin Kälberer „Dies ist KEIN NEWSLETTER!!!

Dies ist eine Nachricht an alle, die ich kenne, die mich kennen … und hoffentlich viele mehr …! Wenn ihr diese meine Ausführungen im Großen und Ganzen teilen könnt und wollt, dann tut das bitte gern. Lasst es einen Kettenbrief werden, eine Welle, die etwas auslöst, bei allen, die wie ich beinnahe in Schockstarre verfolgen, wie uns in den letzten Jahren, Monaten und Wochen die Grundfeste unserer Gesellschaft, unsere Haltung, unsere Werte, unsere Vorstellung von Menschlichkeit und Koexistenz kaputt geredet wird.

Ich habe die Worte vom bayerischen Peinlichkeitsminister noch in den Ohren: „… ja, wo sind wir denn?“ Und recht hat er: WO SIND WIR DENN? Dass es keinen kollektiven Aufschrei zur Folge hat, wenn machtbesessene Selbstdarsteller die politische Bühne ungeniert für ihre überkommenen Ritualkämpfe benutzen können, kann nur den Grund haben, dass die Fassungslosigkeit darüber in schiere Hilflosigkeit übergegangen ist.

Aber das DARF nicht so bleiben!! Den Lautschreiern, Angstbefeuerern, Zündelbrüdern und Berufszynikern darf nicht das Feld überlassen werden, nur weil wir anderen zu höflich, zu hilflos oder schlicht zu passiv sind!

Wir sind nicht machtlos, wir haben es (noch) in der Hand, ob wir das Abdriften in eine neid- und angstgesteuerte, zunehmend von Kraftmeierei und Stammesdenken geprägte Gesellschaft gestatten wollen oder nicht! Um die Stimmung, die – gezielt inszeniert und vermutlich unfreiwillig medial unterstützt – nach einigen anderen europäischen Ländern immer mehr auch in unserem Land vergiftet wird, wieder zu drehen, braucht es JEDEN EINZELNEN!! JEDEN TAG.

Denn jeder, der so altmodische Tugenden pflegt, wie z.B. Zuhören, Nachfragen, Differenzieren, Vertrauen, dazu etwas Hilfsbereitschaft, Entgegenkommen, Höflichkeit & Demut im täglichen Umgang miteinander, kann ein paar Tropfen in den See geben, der dann vielleicht ein Meer wird.

„… Mann, ist der naiv …“. Ich sage: WER ist hier naiv? WER glaubt an scheinbar grenzenloses Wachstum? WER ist der Meinung, wir hätten uns unseren bequemen Wohlstand sauer und vor allem selbst erarbeitet? WER glaubt, wir hätten da sogar ein Recht darauf? WER glaubt, dass sich unser Lebensprinzip (das wir von unseren Banken und Wirtschaftsunternehmen übernommen haben) „Gewinne behalten, Probleme outsourcen“ noch lange wird aufrecht erhalten lassen? WER glaubt, man könne die hungrige Mehrheit auf Dauer einfach aussperren? Und WER glaubt, dass wo Einfalt und Zwietracht gesät werden, am Ende Gemeinsinn und Solidarität geerntet werden können?

Wir haben einen HAUFEN Probleme, vor allem welche, die VIEL GRÖSSER sind, als uns Leute, die gern wiedergewählt werden möchten, glauben machen wollen. Aber unser Problem sind NICHT ein paar, oder ein paar hundert, oder auch ein paar tausend Verzweifelte, die bei uns irgendwas zwischen nacktem Überleben und einer goldenen Zukunft suchen, wie uns Leute, die gern (wieder)gewählt werden möchten, glauben machen wollen.

Unser Problem sind Leute, die gern wiedergewählt werden möchten und deshalb keine unpopulären Wahrheiten verkünden, sondern versuchen, mit Angst- und Stammtischparolen, mit Vereinfachungen, Pauschalisierungen und manchmal schlicht mit Lügen die allgemeine Stimmung zum eigenen Vorteil zu manipulieren, dabei sehenden Auges in Kauf nehmend, dass unser gesellschaftliches Fundament erodiert, unser Zusammenleben jetzt schon spürbar verroht und irreparablen Schaden zu nehmen droht. Eine Entwicklung, die schon das ein oder andere Mal zu Barbarei, Totalitarismus und Untergang geführt hat.

Was tun? Wir können Aktionen organisieren, Aufklären, Motivieren, ein neues Gefühl vom Gemeinsamkeit initiieren. Gut. Wichtig. Aber wichtiger ist meiner Meinung nach unsere eigene HALTUNG. JEDEN TAG.

Ein Zitat, das ich neulich im Radio gehört habe, hat mich sehr bewegt. Auf die Frage eines Journalisten, ob er glaube, die Welt verändern zu können, antwortete ein Demonstrant, der wochenlang allein vor dem Weißen Haus in Washington gegen den Vietnamkrieg demonstrierte: Nein, er wolle nur verhindern, dass diese Welt IHN verändere.

Euer Martin“

Diesen Sonntag von 13 bis 15 findet in München die Demo „#ausgehetzt“ statt. Weitere Infos und Details.

#Sonntagsfreude: Weltmusik

Wie verrückt muss man eigentlich sein, sich am heißesten Sommertag mit 3.500 fremden Menschen in ein stickiges Zelt zu setzen? Und das alles nur, um 3 Musiker zu sehen… Tut es nicht eine CD? Muss ich echt schwitzen und noch dazu denen auf der Bühne beim Schwitzen zuschauen? Und werden die bei den Temperaturen nicht alles tun, um ihr Programm schnell durchzubekommen und dann nix wie heim…? Meine Antwort lautet: es lohnt sich für Werner Schmidbauer und Martin Kälberer, die gestern Claudia Koreck aufs Tollwood eingeladen haben. Man vergisst alles um sich herum und hört diesen 3 Ausnahmemusikern einfach nur zu. Dafür bin ich gerne verrückt und heute etwas schlapp.

Lieber Werner Schmidbauer, einige der neuen Stücke durfte ich schon im Dezember beim unvergesslichen Abend in Evening Mountain genießen. Wie recht du mit deinen Gedanken zu „Wo bleibt die Musik“ hast, selten hat jemand die Beobachtungen zur viel zu staden, dabei trotzdem so hektischen Innenstadt auf den Nenner gebracht. Wie oft hör ich zu, wenn sich wieder jemand über diese penetranten Straßenmusiker beschwert – anstatt zuzuhören und zu applaudieren. „Bei dir“ hat mich auch beim zweiten Live-erleben tief berührt und dein Lied für Mandela verkörpert so wunderbar, was dieser große Mann und Politiker nicht nur dir bedeutet hat.

Lieber Martin Kälberer, gestern durfte ich mich ganz auf dich konzentrieren. Wie bitte schön schaffst du das, gleichzeitig x Instrumente nicht nur zu „bedienen“, sondern sie so wunderbar zur Gesamtharmonie zu verweben? Dabei bist du so unwahrscheinlich aufmerksam für jede Stimmung, jede noch so kleine Nuance fällt dir auf, du reagierst. Irre, wie viele Musikstile in eure Weltmusik einfließen, jeden macht ihr euch zu eigen …

Liebe Claudia Koreck, auch ich bin Fan seit Fliagn. Aber darauf möchte ich dich wirklich nicht reduzieren. Du bist nicht nur eine große Musikern, sondern auf der Bühne ein Powerpaket voll guter Laune. Deine Musik schillert in so vielen Facetten, dazu bringst du dich, dein Leben, deine Gefühle ein. Wer dich live erlebt kann kaum glauben, dass du junger Hupfer zweifache Mama bist und dein Leben grad ganz andere Prioritäten erfordert. Dein neues Lied, geschrieben im Familienurlaub in Griechenland – wie gut, dass du uns noch aufgeklärt hast, dass die erste Strophe in Englisch ist. Und wir nicht wie durch ein Wunder alle plötzlich des Griechischen mächtig sind. Sehr berührt hat mich dein Lied für deine Oma, das jedem, der ein gutes Verhältnis zu seinen verstorbenen Angehörigen hat, aus der Seele spricht. Wie schön, dich auf der Bühne „jammen“ zu sehen, du bist auf bairisch in der Weltmusik dahoam.

An alle drei: danke für die Musik, danke für euer Lachen, danke für eure Zeit. Es war wunderbar, was für ein schöner Schlussgedanke, dass genau das den perfekten Abend ausmacht, dass man gerne noch bleiben würde, dem Erlebten noch nachspüren möchte. So ging’s mir zumindest.

Und noch ein letzter Gedanke: liebes Tollwoodteam, danke, dass ihr Schmidbauer und Kälberer bereits zum 6. Mal in Folge eingeladen habt. Bleibt dabei. Und schon seit einigen Konzerterlebnissen möchte ich euch gerne mal ein großes Lob für den perfekten Sound aussprechen. In einem Zelt wohlgemerkt. Mit Außeneinflüssen eines Festivals. Ziemlich gut, da könnte sich manch Konzerthalle eine große Anregung holen. Macht weiter so 😉

Mehr Sonntagsfreude bitte hier nachlesen.

Momente sammeln – in „Eveningmountain“

Ich mag Musik, liebe Musiker, die auf die Bühne kommen und ihr Publikum von der ersten bis zur letzten Minute mitnehmen. Und gehe gerne mit auf musikalische Reisen. Gestern Abend hatte ich unerwartet das Glück, zwei Musikern bei ihrem Abschlusskonzert für dieses Jahr zu lauschen. Die sprühen und gleichzeitig beseelt sind vor Erlebnissen: hunderte von Konzerten haben sie 2013 gespielt, in den letzten Wochen als „Die Momentnsammler unterwegs“ zum 20jährigen Bühnenjubiläum, Martin Kälberer oder Werner Schmidbauer solo, zu dritt mit Pippo Pollina dem „Süden“ so tief verbunden. Ein Ausnahmekonzert vor 10000 Zuhörern (und sicher mindestens ebenso viel Mitfühlern) in der Arena zu Verona. Als Gast ist man dann schon fast ergriffen vor so viel Erlebnissen – und würde ansatzweise sogar verstehen, wenn die Jungs ausgelaugt sind, das Programm noch durchziehen, aber eigentlich längst gedanklich raus sind, entspannen wollen, eine Pause, Weihnachten, whatever?
Zu Beginn des letzten Momentnsammler-Abends im Abensberger Weißbierstadl hab ich mir die Frage gestellt. Ob die heute Abend überhaupt noch können? Die Scheune schon kurz nach Einlass gerammelt voll, bei freier Platzwahl kein Platz unbesetzt, sehr warm wars. Und tiefe Vorfreude. Schnell kommt man mit den Tischnachbarn ins Gespräch, hier gibts wenn dann nur vereinzelt Menschen, die Schmidbauer & Kälberer heute zum ersten Mal live hören. Ein Paar kommt aus Bad Aibling, wo Werner Schmidbauer wohnt. Dort haben sie keine Karten ergattert, dann fahren sie eben. Wow. Auch um uns herum Fans, überraschend viele waren sogar in Verona dabei …
Schon nach den ersten Minuten ist klar, die beiden Musikerfreunde werden auch an diesem Abend alles geben. Sie feiern auf dieser Tour 20 Jahre gemeinsam auf der Bühne, verbinden als Programm Musikerlebnisse aus dieser Zeit. Das sind gefühlvolle, nachdenkliche Momente, des Glücks, des Pechs, der Lebenslust und Freude. Und so viel mehr. Die kleinen und die großen Augenblicke des Lebens. Bewusst. Durch Text und Noten interpretiert. Musik drückt so vieles aus und erscheint in unzähligen Facetten. Da kommt das geniale Hang mit Gesang, ebenso wie die bairischen Versionen der Goldenen Felder (Stings Fields of Gold – schon das Intro beschert mir Gänsehaut über den Körper) und „Oans“ (U2-Klassiker One), „Glück ghabt“, es geht „oiwei weida“. Der Beschaller hat ein Wunder vollbracht, 20 perfekt ausgerichtete Lautsprecher sorgen dafür, dass jeder noch so leise Ton bei jedem Zuhörer landet. Also bei uns zumindest. Mitsingen war gewünscht, jeder Moment des gestrigen Abends so kostbar, die lauten wie die leisen Töne. Ich habe ein neues Stück kennen und lieben gelernt, muss ich heute mal recherchieren, denn das war so perfekt meine Stimmung. Tolle Erklärung übrigens, die da gestern zur Musikkassette gegeben wurde: „ein Kasterl mit Band drin – wenn man ein Lied in Dauerschleife hören wollte musste man gleichzeitig Play und Rewind drücken [Imitation Geräusch einer Kassette beim Zurückspulen], und den Moment abpassen, wo nix war, da ging’s dann wieder los …“. Versteht wahrscheinlich die Generation nach uns nicht mehr?
Sehr schön auch, dass Werner Schmidbauer gestern Abend seine Kinder „dabei“ hatte, seinen Sohn und Liedermacher Valentin, „andere haben eine Vorband, ihr bekommt mich als Zwischenband…“. Und in der noch namenlosen Zugabe seine Tochter, eigentlich alle Kinder und wahrscheinlich das Gefühl für alle Menschen, die ihm wichtig sind: „I bin bei dir“.

Danke für den wunderbaren Abend, all die kleinen, so wertvollen Momente – ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Auch die quietschende Toilettentür, immer im unpassendsten Moment, vor allem beim Gitarrestimmen …. Unvergesslich schön wars, mit euch Momentnsammlern in der bezaubernden niederbayrischen Kleinstadt „Eveningmountain“, lieber Martin Kälberer, lieber Werner Schmidbauer, freu mich schon aufs Wiederhören beim Tollwood 2014.