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Themenwoche Bildung

Wer hier schon länger mitliest weiß, dass ich Fan der jährlichen Themenwoche der ARD bin. Zum Einen, weil ich bislang alle Themen gut fand, aber auch die Impulse, die verschiedenen Herangehens- und Betrachtungsweisen finde ich hochspannend. Aktuell geht es um Bildung. Und ich musste über diesen Artikel sehr schmunzeln. Ich stimme in vielerlei Hinsicht zu. Was ich von meinen Patenkindern so am Rande mithöre ist, dass sie schlicht zu viel Stoff durchpauken, „wissen“ müssen. In allen Fächern, also auch in den nicht Interessensgebieten. Und da bleibt zwangsläufig die Neugierde auf der Strecke.

Besonders „schön“ kann ich das an der bezaubernden Nichte erkennen. Als Viertklässlerin sieht sie sich lerntechnisch mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Ihre Interessen liegen klar in den sprachlichen Bereichen, Phantasie, Kreativität, Menschen, Tiere, Natur. Dummerweise hat sie es überhaupt nicht mit der Mathematik. Der Wille (und einige wenige erwachsene Erwartungshaltungen) meint aber, dass sie schon einen höheren Schulabschluss anstrebt. Also braucht sie auch eine gute Note in Mathe … zum K.

Jetzt ist es ja interessanterweise so, dass für die meisten Menschen in ihrem späteren Leben ausreicht, die Grundrechenarten und ihre Verwendung sicher zu beherrschen. Unser Bildungssystem möchte aber Algebra, Geometrie und Stochastik abfragen. Ich persönlich wundere mich nicht, dass nur ein Bruchteil der Kids da durchsteigt. Auch mir waren Mathe und Physik eher Stolpersteine auf meinem schulischen Weg. Aber ich hatte zwischendurch immer Glück: Lehrer, die es geschafft haben, meine Neugierde zu wecken. Und so mal wieder zu verstehen.

Was für mich tatsächlich gar nicht mal so absurd wäre: ein Schulsystem, das nach einer Grundausbildung im Lesen, Schreiben und Rechnen mehr Fähigkeiten fördert und an die Schwächen anders herangeht. Für mich hätte ich mir damals gewünscht, mich in Mathe und Physik statt in den für mich völlig absurden, da unverständlichen Rechenmodellen und Formeln zu bewegen, mehr lebenstaugliche, praxisnahe Anwendung zu üben. Und insgesamt hätte ich mir weniger „wir müssen den Lehrplan erfüllen“ und mehr „ich vermittle euch dieses Wissen, weil es für euch und für die Allgemeinheit von Interesse ist“ gewünscht.

Noch ein Gedanke im Kontext: auch ein großer Teil von dem, was wir immer so gerne als Allgemeinbildung, als emotional menschliche Grundausbildung betrachten, auf der Strecke. Wenn das dann nicht über das Elternhaus gewährleistet wird … sollte man sich mal drüber nachdenken?

Nicht lustig

Von wegen auf dem Land ist die Welt noch in Ordnung, „Problemkinder“ gibt’s überall. Eines davon geht in die gleiche Klasse, wie die bezaubernde Nichte. Immer wieder ist der Junge dadurch aufgefallen, dass er sich nicht integriert. Nicht kann oder nicht will. Sein Verhalten ist aggressiv, er droht nicht nur, sondern haut auch zu. Das trifft jeden, kleinere, größere – und es ist schlicht nicht in Ordnung. Deshalb gab es im zweiten Schuljahr einen Versuch der Deeskalation: alle sitzen im Stuhlkreis, es soll eine Aussprache sein. Dumm nur, dass er nicht verstanden hat, dass ihm das helfen sollte. Er hat sich vielleicht in die Enge getrieben gefühlt? Und hat angekündigt, ein Mädchen aus der Klasse umzubringen … da er seine Drohungen bislang immer in die Tat umgesetzt hat ist das alles andere als lustig. Was jetzt folgt kann bis zu einem Schulausschluss führen, natürlich geht der Schutz der anderen Kinder vor. Dumm, dass ihm nicht klarzumachen zu sein scheint, dass es sein Verhalten ist, das nicht in Ordnung ist. Und natürlich weiß er als Zweitklässler noch nicht, dass ihn die Konsequenzen direkt betreffen, ihn und sein weiteres Leben.

Blöd auch, dass die anderen Kinder das Verhalten jetzt trotzdem adaptieren und anderen „im Scherz“ mit allem möglichen drohen, das ist schlicht alles andere als lustig.

Das mit der Non-Konformität

Non-konform, nicht angepasst, anders, individuell, besonders.

Monsieur ist mit seinen 11 Jahren noch sehr kindlich, dabei aufmerksam, er orientiert sich gerne an Erwachsenen, mag seine Lehrer, spricht sie an, trägt Unterrichtsmaterial, engagiert sich. Dazu redet er gerne mit Mädchen, hat gute Noten, antwortet auf Fragen, steht zu dem, was er tut, … und wird durch all das, was ihn ausmacht gerade zum zweiten Mal in seinem Leben zum Außenseiter.

Zum ersten Mal war es das Nichtbeherrschen der französischen Sprache beim Umzug in die Schweiz. Als Deutscher hat es lang gedauert, bis er dort akzeptiert wurde. Jetzt ist es die neue Schule, in seiner Klasse wird er gemobbt. Von den anderen Kindern, vor allem von den selbsternannten coolen Jungs … die alles andere als cool sind. Sie nutzen ihre gemeinsame Masse und die dadurch entstehende Schlagkraft. Gegen ihn, den vermeintlich Schwächeren.

Der Übertritt ans Gymnasium ist für die meisten Kinder – und wie ich mich so umhöre, hat sich da seit meinen Zeiten in den 80ern nichts geändert – eine Herausforderung. Nicht nur schulisch werden andere Leistungen, ein deutlich erhöhtes Lernniveau und -Pensum sowie ganz generell Veränderung gefordert.

Im konkreten Fall hat die Schule den Eltern meines Patenkindes geraten, dass sich das Opfer eine dickere Haut zulegen müsse. Schließlich sei es in der heutigen Zeit in der Gesellschaft wichtig, frühzeitig Verletzungen, Schmähungen, Kränkungen an sich abprallen zu lassen. Das Opfer soll sein Verhalten ändern, sein anerzogenes und bereits selbst weiterentwickeltes Weltbild, bestehend aus Toleranz, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit nicht leben, weil es nicht zeitgemäß ist. Er muss an seiner Sensibilität arbeiten, um heute bestehen zu können …

Etwas irritierend, dass von Schulseite aber keineswegs ein Coaching für die Täter angedacht wird, die könne man nicht ändern: wohlstandsverzogen. Vom Elternhaus, wo sie falsche Werte mitbekommen haben. Das würde also bedeuten, dass Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden können, weil es eh nichts nützt. Zudem ist aktuell wohl auch nicht geplant, mit den anderen Eltern zu sprechen. Auch da scheint die Erwartungshaltung ohne Aussicht auf Erfolg? … Ja, das macht nicht nur die Eltern des betroffenen Kindes fassungslos, sprachlos und wütend.

Vor allem aber nachdenklich, ja, ich denke auch, dass Monsieur lernfähig ist, finde wichtig, dass er künftig mit der Schulpsychologin an seinem Selbstbewusstsein arbeiten soll, um künftig die Verletzungen besser verarbeiten zu können. Leider wird nicht ausbleiben, dass er sich dadurch verändert, aber das ist in meiner Sicht der Welt dennoch besser, als dass er durch das Mobbing gebrochen wird … vielleicht kann er durch seine Sensibilität Wege finden, die keine Waffen sind, eben andere Möglichkeiten, um der gnadenlosen Boshaftigkeit der anderen Kinder etwas entgegenzusetzen. Denn dass er böse und gemein wird? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Und in einem widerspreche ich dem Rat seines Lehrers: ja, Kampfsport könnte ihm gut tun, um sich körperlich zu fördern, um sich auszupowern, um eine andere Körperspannung- und Haltung aufzubauen und diese auch auszustrahlen. Aber nicht, um zurückzuschlagen, wenn er getreten wird. Sondern um sich zu verteidigen …

Als ich zehn war

Lutz fragt, wie das war, als ich zehn war. Irgendwie ist das keines der Lebensjahre, das mir besonders in Erinnerung geblieben wäre, zu dem ich auf Anhieb etwas zu erzählen wüsste. Also eines kann ich sagen: damals hat es sich zumindest nicht sehr besonders angefühlt. Das, was wir heute aus unserer Erwachsenensicht als so einen wichtigen Meilenstein sehen, dieses erste Jahrzehnt, mit dem ein Stück Kindheit endet, man zum Teenager wird, Pubertät beginnt, Weichen für die Zukunft gestellt werden … Kam mir in meinem damaligen kindlichen Ich keineswegs wichtig noch erwähnenswert  vor.

An eins kann ich mich dann aber mit etwas Nachdenken gut erinnern: es handelt sich quasi um die erste „Irritation“ – nennen wir es mal so – mit einem Vorgesetzten. Mit meinem Klassenlehrer nämlich. Als Zehnjährige war ich Viertklässlerin und es ging  um den Übertritt ans Gymnasium. Waren meine Noten in der Dritten sehr gut gewesen hab ich in der Vierten gefaulenzt. Das konnte und wollte mein Lehrer, der gleichzeitig Schuldirektor war, nicht akzeptieren. Hat meine armen Eltern zu sich bestellt, um ihnen den Ernst der Lage klarzumachen. Mit wenig Erfolg, denn meine Eltern waren auch damals schon der Überzeugung: wenn sie nicht wirklich will, dann muss sie nicht. Sie kannten meinen Dickschädel schließlich ein paar Jahre länger.

Als „Strafe“ für mein Leistungstief hat er mir mehrfach in der Klasse meine verschlechterten Noten vorgehalten – weder meine Mitschüler noch ich konnten wirklich nachvollziehen, wieso eine 2 in Deutsch (Vorjahresvergleich 1) oder eine 3 in Mathe (einen Test vorher eine 2) ihn in solche Aufregung versetzte. Teil 2 seiner Maßnahmen war dann,  dass ich bei der Verabschiedung des äußert beliebten Pfarrers nicht wie geplant ein langes Gedicht allein aufsagen musste, sondern halb-halb mit meiner damals besten Freundin. Hm. Also, er hat es zumindest als Bestrafung „verkauft“. Eigentlich hat er mir damit natürlich einen riesengroßen Gefallen getan.  Denn so standen wir zu zweit vor einer ganzen Halle, gefüllt mit Erwachsenen, alle sich wichtig nehmenden Gästen. Wir beide, ordentlich aufgebretzelt, im farblich aufeinander abgepassten Dirndl, mit zurechtgemachten Haaren … Allein hätt ich mir in die Hose gemacht, zu zweit haben wir das recht gut hinbekommen. Jawoll.

Im nachhinein ist mit klar: er hat als Erster erkannt, dass mir vieles zufliegt, ich also in manchen Bereichen nicht so viel lernen musste wie andere. Mir aber der Ehrgeiz fehlt, das in meine schwachen Fächer zu investieren, um dort besser zu werden. Interessant, dass mich mein „nur“ gutes Übertrittszeugnis dann selbst gewurmt hat, zum Jahresende hab ich die Grundschule mit einem Einser-Schnitt verlassen. Aber wie auch im seitherigen Leben: Vorgesetzte finden selten die passenden Methoden, meine Leistung zu verbessern. Das muss aus mir selber kommen.

Danke für den schönen Impuls zum Zurückdenken, hier und hier finden sich gesammelte lesenswerte Erinnerungen von so ganz unterschiedlichen Zehnjährigen.