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#Heimatverliebt: Historische Hallertau

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Wenn ich über meine Heimat nachdenke, dann denke ich an den Hopfenbau, die Hallertau und der Hopfen, das gehört zusammen. Historisch ist das aber erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts so. Damals wurde der Hopfen in unserem Landstrich heimisch und der Ertrag des “grünen Goldes” machte den Hopfenbauern reich. Davor war die Region weniger mit Wohlstand gesegnet, Sumpflandschaften, lehmige, sandige Böden und durch die Hügellandschaft zahlreiche Hänge mit geringer Nutzfläche, dazu bekannt für Nebel und Regen, hier wuchs keines der Topseller-Produkte wie Getreide oder Wein besonders gut. Dafür gedieh der bis dahin wenig genutzte Hopfen auf den Böden und im Wetter recht üppig.

Mitte des vorletzten Jahrhunderts begannen die Bierbrauer in München mit der Großproduktion, diese Chance ergriffen die Holledauer Bauern. Sie kultivierten die Hopfenpflanze und hatten mit dem Ertrag eine lukrative Einnahmequelle. Der neue Reichtum des Bauern zog in der Erntezeit billige Wanderarbeiter von überall herbei, die zwar nicht gerade üppig fürs Hopfenzupfen entlohnt wurden. Vor allem, da die drei bis sechs Wochen härteste Arbeit waren, trotzdem kamen sie in Scharen, um über 100 Jahre jede einzelne Dolde von den bis zu 10 Metern langen Pflanzen per Hand zu zupfen.

Was wir heute als so typisch für die Region empfinden, die Hopfengärten mit den hohen Stämmen und den Drahtgestellen, die man beim Fahren auf der A9 so schön sieht, ist tatsächlich eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Davor hatte man im Garten kürzere Stangen, an denen die Pflanze hoch bzw. vorwärtswachsen konnte. Mit der Erfindung der Hopfenzupfmaschine Mitte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann die Knochenarbeit etwas leichter zu werden.

Heute hat sich die Menpower bei der Hopfenzupf minimiert – einer fährt mit dem Traktor raus, an seinem Wagen ein Abreißgerät.img_5057Er lädt die Fuhre ab, einer hängt die Reben an der Zupfmaschine ein, der Rest läuft automatisiert ab. Früher waren so viel mehr Menschen involviert und mussten rackern.


Natürlich muss man dabei bleiben, aufpassen, auch heute bleibt mal ein Draht in der Maschine hängen.

Der Mensch ist nicht überflüssig.

Aber verglichen mit der Hopfenzupf anno dazumal ist viel weniger los auf den Höfen.

Und anders als früher ist der Hopfen auch nicht mehr Garant für gutes Geld.

Trotzdem bleibt es das grüne Gold, in guten Jahren ist der Hopfenpreis ein stolzer, ein lohnender.

Heute ist die Hallertau als „weltgrößtes Hopfenanbaugebiet“ bekannt, die ersten Hopfenwurzeln kamen wohl durch slawische Siedler in die Region, die sogenannte „Fechser“ mitbrachten und in den Böden kultivierten. Meine Großmutter mütterlicherseits stammt aus dem kleinen Weiler Gründl, das laut einer Urkunde neben Geisenfeld die älteste Ortschaft mit Hopfenanbau in der Region ist. Für mich als hier geboren und aufgewachsen ist die Hopfenzupf jedes Jahr Anlass, mich zu freuen. Schon allein, wie gut es rundum riecht.
Und ich liebe die Geschichten aus der guten alten Zeit, kann mich als Kind an die Wochen erinnern, in denen wir mit draußen waren. Besonders schön ist, dass ich in der Familie und im Freundeskreis noch Hopfenbauern habe, da darf ich auch mal „reinschnuppern“, vorbeikommen, riechen und schauen. Und knipsen.

Dass ich nicht mehr mitarbeiten muss stimmt mich alles andere als traurig, die Arbeit fand ich sehr hart.

Mir ist durchaus bewusst, dass es auch heute noch mühselig ist, dass der Hopfen eine Sonderkultur bleibt, dass am Spruch, “der Hopfen will jeden Tag ihren Herrn sehen” immer noch sehr viel Wahrheit steckt.

Das Wetter spielt eine entscheidende Rolle, zu viel, zu wenig, egal ob Sonne oder Regen, ein Hagelschlag, schon ist die Arbeit eines ganzen Jahres dahin …

Hinter jedem Hopfengarten in der Hallertau verbergen sich eigene, ganz persönliche (Lebens)geschichten, stecken Menschen und Generationen, wer in der Region unterwegs ist, darf sich auf Erzählungen freuen.

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Jule lädt zum Schreibprojekt „Heimatverliebt“, ich habe mich etwas von den Monatsthemen gelöst und widme mich einer Idee rund um „Historisch in deiner Heimat“. Und habe mich etwas in die Geschichte des Hopfens eingearbeitet, das die Region seit noch nicht mal zwei Jahrhundert, dafür so nachhaltig prägt. Gerade „tobt“ rundherum die Hopfenzupf und ich hab mir fest vorgenommen, in den kommenden Tagen noch ein paar mal tief reizuschnuppern in die diesjährige Ernte … Mehr Heimatliebe aus unterschiedlichsten Regionen findet ihr unter dem Suchbegriff „Heimatverliebt“.

Familiengeschichten: Kriegsende und auf der Flucht

Vor 70 Jahren stand das Kriegsende unmittelbar bevor, Zeitzeugen berichten von diesen Tagen und Wochen. Vielerorts wurde noch gekämpft, woanders wurden die Aliierten herzlich empfangen. Flucht und Vertreibung, eines der beherrschenden Themen der Nachkriegszeit. Mein Großonkel Thomas ist in diesen letzten Kriegstagen abgehauen. Er war wohl mit anderen Soldaten in einem Zug im Raum Stuttgart unterwegs, als sich für ihn und und einen Kumpan eine günstige Fluchtgelegenheit ergeben hat. In voller Montur und bewaffnet haben sich die beiden grob in Richtung Heimat bewegt. Unterwegs haben sie viel Hilfe erfahren, konnten in Scheunen schlafen, bekamen etwas zu essen. Das hat er uns Kindern später mit einer tiefen Dankbarkeit erzählt, er hat es niemals als selbstverständlich hingenommen. Als er wohlbehalten zu Hause ankam herrschte wohl große Aufregung. Denn er war ein Desserteur. Zuerst fand er bei meiner Großmutter, seiner späteren Schwägerin, und ihrer Familie Unterschlupf. Dort hat er seine Waffe in Sicherheit gebracht. Wo man ihn später auf dem elterlichen Hof versteckt hielt weiß ich nicht. Glück war wohl schlicht, dass mein Heimatdorf ein paar Kilometer von größeren Straßen und der Bahnstrecke entfernt liegt. Und die zurückweichenden Truppen so nicht auf ihn stieß. Nach der Befreiung kam er kurz in Arrest, durfte aber schnell nach Hause, um bei den dringend anfallenden Arbeiten zu helfen …

Mein Urgroßvater hat zwei Flüchtlingsfamilien auf dem Hof aufgenommen – es waren Frauen, die mit ihren Kindern aus Schlesien gekommen waren. Jeder musste sich einschränken, die Schlafkammern teilten sich mindestens vier, eher mehr Bewohner. Auch anderswo im Dorf wurden Flüchtlinge einquartiert, zuerst wohl eher widerwillig, später wurde integriert: die Kinder haben die Schule besucht, die Älteren in der Landwirtschaft mitgearbeitet oder sonstige Tätigkeiten ausgeübt.  Die Nachkriegswinter müssen schneereich und bitterkalt gewesen sein. Unser Haus hat keine Heizung, aber in einigen Kammern standen kleine Öfen. Die Tür einer früheren Schlafkammer war wohl sehr zugig, „Tante Itschi“, wie sie bei uns in der Familie genannt wurde, hat jede Ritze mit Stoffresten befüllt, um die Kälte auszusperren. Sie war eine sehr geschickte Schneiderin, hat die weibliche Dorfbevölkerung modisch bereichert. Es war also wichtig, dass ihre Finger nicht froren. Meine Mutter erinnert sich aus Kindertagen, wie es im Zimmer derTante Itschi geraucht hat, so hat sie sich eingeheizt. Sie und die Oma einer Flüchtlingsfamilie sind in den 50er Jahren im Dorf verstorben und liegen in unserem Familiengrab beerdigt. Weshalb die Familien seitdem in Kontakt geblieben sind, obwohl später die vermissten Väter nachkommen und mit ihren Familien im Raum Stuttgart ein neues Leben beginnen konnten.