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Paula und der Nikolaus – Vorlesegeschichten aus der Nachbarschaft

Die Tage verbringt Paula wieder viel Zeit am Gartenzaun, denn bei den Nachbarsmädels ist zum Glück auch an diesen kalten schon recht winterlichen Tagen immer was los. Die haben schon den ersten Schnee gefeiert und jeden Tag ist Paula ein kleines bisschen neidisch, wenn sie hört, wie drüben die Türchen der Adventskalender geöffnet werden. Die Mittlere hat nämlich einen mit Musik bekommen – und da wird jeden Tag mitgesungen und getanzt.

Heute haben die Mädels ganz aufgeregt diskutiert, ob wohl trotz Corona der Nikolaus vorbeikommen wird? Denn eigentlich ist das ja doof, wenn der so von Haus zu Haus, von Kind zu Kind zieht – dabei sollen doch alle gerade nicht so viele Kontakte haben und vor allem nicht von einem zum anderen … Paula seufzt und verzieht sich auf ihr warmes Plätzchen. Doof ist das alles, findet sie.

Als sie später von einem kurzen Nickerchen erwacht staunt sie nicht schlecht: vor ihr steht ein roter Stiefel, randvoll gefüttert mit den leckersten Leckerlis. Eine verdächtige Spur zum Gartenzaun und lautes Kichern, als sie näher ranläuft, verraten dem schlauen Hundemädchen, dass die Nachbarsmädels sich wohl klammheimlich zu ihr geschlichen und ihr ein kleines Nikolausgeschenk vor die Nase gesetzt haben. Hach, was sie sich freut. Und das zeigt sie den Mädels mit ausdauerndem Schwanzwedeln und unzähligen Danke-Kläffs. Und dazu zeigt sie noch ein paar ihrer Kunststücke – was von ihren kleinen Nachbarinnen mit begeistertem Lachen und Klatschen belohnt wird.

Als Herrchen und Frauchen an den Zaun kommen singen alle sogar noch ein Lied miteinander – und Andi erklärt den Mädels, wieso Paula nicht alle Leckerlis auf einmal aufessen darf – phhhh, als ob sie das nicht selber wüsste, dass sie davon immer schlimme Bauchschmerzen bekommt. Aber sie wird es einfach halten, wie die Mädels mit ihrem Adventskalender, immer wenn die ein Türchen öffnen, wird sie sich ein Leckerli schnappen, jawoll.

Was hast du heute alles erlebt?

In den letzten Tagen war es ruhig hier, denn ich war mit Telefonaten bzw. Online-Videokonferenzen mit den Nichten beschäftigt. Ok, nicht nur, aber ich muss dazwischen ja auch viel viel viel Erlebtes sammeln. Denn der Ablauf gleicht einer festen Agenda: erst winken alle 3 ins Bild, Nichte 3.0 etwas verschüchtert, die beiden Großen umso fröhlicher. Irgendwann schnappt sich Nichte 2.0 dann Mamas Handy und zeigt mir alles mögliche, dabei erzählt sie viel und macht mich immer wieder auf kleinste, oft kaum wahrnehmbare Veränderungen aufmerksam. Und dann kommt sie, die Frage. „Taaaaaaante, und, was hast du alles so erlebt heute?“ Und da muss ich gut vorbereitet sein und was zu erzählen haben … sonst kommt das „also dann Tschüss“ durchaus unvermittelt schnell 😜

Nichte 3.0

Alles gut gegangen. So, wie es in diesen Zeiten gut sein kann. Alle hatten wir insgeheim langsam gehofft, dass sie früher kommen könnte … ich kann aber verstehen, dass sie noch ausgenutzt hat, in der Sicherheit von Mamas Bauch auszuharren. Weil in den Tagen vor der Geburt dann doch alles, was wir so kennen, in Frage gestellt wurde …

Tatsächlich klappte alles wie geplant, wie schon bei 2.0 ist die Tante angereist, damit Papa bei Mama sein konnte und danach seine neugeborene Tochter wenigstens kurz zum ersten Mal in den Armen hatte. Weil die Großeltern fallen umständehalber aus. Und weil ja keine Besucher mehr in Krankenhäuser dürfen… In seiner Ansprache hat der bayerische Ministerpräsident am selben Tag später bekräftigt, dass die Väter zu ihren Ehefrauen und Neugeborenen sollen dürfen. Insofern konnte der stolze Papa dann später doch noch mal für eine Stunde seine zwei Mädels besuchen.

Die anderen beiden motzen natürlich, weil sie jetzt das Schwesterchen nicht sofort sehen, anfassen, streicheln usw. dürfen … aber das ist so. War zu früheren Zeiten übrigens auch so, und bei uns gabs nicht mal Handy oder gar Videotelefonieren. Unfassbar. Egal. Trotzdem wollten sie sooooo gerne. Und haben dann aber auch alle zwei das Ego zurückgestellt. Hui. So vernünftig können große Schwestern sein. Jawoll.

Alle anderen bleiben aus bekannten Gründen in den Ferne. Und gesund. Hoffentlich. Und Punkt.

Meine Schwester ist so früh möglich aus der Klinik gegangen, um unnötige Kontakte zu vermeiden. Isoliert ist man mit einem kleinen Baby sowieso, aktuell mehr als sonst, da eben keine neugierigen Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn vorbeikommen … für ein Neugeborenes aber auch eine ruhige Ausnahmezeit zum Ankommen in unserer sonst nie stillstehenden und alles andere als leisen Welt?

Familiengeschichten: Generationen verändern sich

Gerade tritt familiär deutlich zu Tage, dass sich Ansichten verändern.

Hintergrund ist, dass meine Tante, die ältere Schwester meines Vaters, vor vielen Jahrzehnten geheiratet hat. Einen Mann, der bei meinen Großeltern nicht gut ankam. Warum, weshalb, lange her, vielleicht auch längst vergessen. Trotzdem war er kaum als Familienmitglied aktiv. Ich brauche nicht alle meine Finger, um aufzuzählen, wie oft ich ihm in meinen Lebensjahren begegnet bin. Und selbst wenn hab ich nie einen echten Kontakt aufgebaut, ihn nicht gekannt.

Vor etlichen Jahren hat sich meine Tante aus Gründen von diesem Mann getrennt, lebt seitdem allein. In der Verwandtschaft fiel der Unterschied kaum auf. Und man muss auch dazu sagen, dass meine väterliche Familie nicht so gern über „so was“ spricht.

Jetzt ist dieser Mann – ich müsste wohl schreiben mein Onkel, aber es fühlt sich nicht so an – gestorben. Und meine Tante als seine Witwe kümmert sich gemeinsam mit ihren Kindern um eine Verabschiedung. Keine traditionelle Beerdigung. Für mich fühlt es sich komisch an, nicht nachvollziehbar, dass sie in ihre Rolle zurückkehrt, die sich vor vielen Jahren verlassen hat. Das ist aber ihr Thema, nicht meins.

Mein Thema ist, dass meine Eltern ernsthaft von ihren Kindern erwarten, dass wir zu dieser Verabschiedung gehen. Weil sich das so gehört.

Ja, ein Argument der Generation meiner Eltern. Was bin ich dankbar, dass ich einer anderen Generation angehören darf. Die nachspürt, ob da ein Bedürfnis ist, sich von diesem unbekannten Familienmitglied zu verabschieden. Und auf sein Gefühl hört, statt sich einer Situation auszusetzen, die man bestenfalls konventioneller Zwang nennen kann …