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#femaleheritage: Frauen und Erinnerungskultur – Emma Haushofer-Merk

Ein paar Monate meines Lebens habe ich sehr viel Zeit in der Münchner Monacensia verbracht. Um mich thematisch mit Münchner Autorinnen der vergangenen Jahrhundertwende zu beschäftigen. Die meisten Namen und vor allem ihre Werke waren nicht mal 100 Jahre später vergessen. Das alles ist lange her. Umso mehr hab ich mich gefreut, als mich eine Freundin auf das Schreibprojekt #femaleheritage“ aufmerksam gemach hat. Gesucht ist die Erinnerung an Frauen, die in Vergessenheit geraten sind. Obwohl es wert ist, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Im Kontext hat mich damals Emma Haushofer-Merk mit ihrem Lebenswerk beeindruckt. Sie war ein echtes Münchner Kindl, stammte aus einer Künstlerfamilie. Über ihre schriftstellerischen Fähigkeiten urteilte sie selbst: „Ich habe seit Jahren für die gelesensten Zeitungen geschrieben, und wenn ich mich auch nicht zu den „Größen“ unter den weiblichen Autoren rechnen darf, ich bin’s zufrieden, dass so mancher aus nah und fern meine Geschichten zur Hand nehmen und sich von Ihnen eine Stunde kürzen lassen mag.“ (aus W. Zils (Hg.): Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien. München 1913, S. 149)

    Zahlreiche ihrer Werke sind treffende Schilderungen des Münchner Lebens. In einer fast schon psychologischen Betrachtungsweise schreibt sie über Mann und Frau – oft schildert sie Dreieckskonstellationen von Ehepaaren und einem Geliebten. Indirekt geht es um Rolle und Rechte der Frau und ihre Sexualität. Ein Nicht-Thema der Zeit. Im 1913 erschienen „Bayernbuch. Hundert bayrische Autoren eines Jahrtausends“ wird Emma Haushofer-Merk als „Verfasserin zahlreicher psychologischer Novellen und Skizzen“ aufgelistet. Vor allem einige ihrer Werke aus den 1920er-Jahren möchte ich empfehlen, z.B. „Die Gewissensbisse des Ignatius Stupfer und das Lieserl. Zwei Erzählungen aus dem Alten München“ und „Es wetterleuchtete. Münchener Roman aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts“. Sie lässt ihre Leser authentisch am städtischen Leben der Zeit teilhaben, ihr Schreibstil ist humorvoll und sehr lebendig.

Neben der Arbeit als Autorin engagierte sie sich im Verein für Fraueninteressen e.V., auch im Vorstand, und führte einen Salon, der Treffpunkt von Frauenbewegung, Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten ist. Gemeinsam mit Carry Brachvogel gründete sie den Verein Münchener Schriftstellerinnen als „Zusammenschluss der in München lebenden Schriftstellerinnen und Journalistinnen zur Besprechung beruflicher Fragen und zur Vertretung künstlerischer und wissenschaftlicher Interessen“.

Warum sie und ihre Werke wie so viele Zeitgenossinnen in Vergessenheit geraten ist? Ein paar wenige Namen sind geblieben, aber gerade die Themen der Autorinnen der vergangenen Jahrhundertwende sind abgelöst worden – und die Rechte der Frau haben sich weiterentwickelt. Über die kommenden Jahrzehnte haben sich vermutlich die Schriftstellerinnen und die jeweiligen Themen regelrecht ersetzt.

Danke für den schönen Schreibimpuls an die Monacensia und die Initiatorin Tanja Praske. Unter diesem Link finden sich die Einladung sowie die gesammelten Beiträge im Kontext.

Theaterfreu(n)de

Wenn ein langjähriger Freund Theater spielt und es sich terminlich ergibt, dann kehrt Frau (statt in den sonst in Freising üblichen Asamsaal) an zweckentfremdete Stätten ihrer Jugend zurück: für die Dauer des mehrjährigen Umbaus ist in der Luitpoldhalle eine Konstruktion geschaffen worden, die zwar anders, aber doch sehr funktional für die Laienbühne ist. So wurde ich für einen Abend in „eine kleine, verträumte Kleinstadt ins Königlich Bayerische Amtsgericht“ versetzt. Und da merkt man mal wieder: jede Rolle lebt von ihrem Darsteller, vom pflichterfüllten Wachtmeister über die gstandene Wirtin, vom naiven Dirndl hin zur tratschenden Pfarrersköchin, vom pfiffigen Totengräber bis hin zum rechtssprechenden Amtsgerichtsrat. Wie auch bei der bayerischen Kultserie nach einer Idee von Georg Lohmeier ist die bairische Gerechtigkeit manchmal nicht für alle Beteiligten fair, aber immer für ein paar Lacher gut.

Mein Highlight des Abends: ein gnadenloser Regisseur. Nachdem eine seiner Mitspielerinnen vorher im Stück ihren Schlusssatz gründlich versemmelt hatte bekam sie nach dem Schlussapplaus auf seine Veranlassung hin die Chance, ihre Pointe aus dem Leichenbitter jetzt korrekt zu wiederholen. Auf die Frage, warum sie ihren Mann dazu angestiftet hat, einen falschen Sterbefall zu verkünden, wo es doch ein Leichtes gewesen wäre, eine Hochzeit zu erfinden, antwortet sie also resigniert im Kontext: „Oh mei, Herr Rat: dass einer stirbt, das glaubt ihnen ein jeder, aber dass einer so dumm ist und heiratet – das glaubt Ihnen nicht ein jeder …“.

Hat sie bravourös gemeistert, wobei sie auch sonst die Lacher auf ihrer Seite gehabt hätte, denn wie heißt es so schön im Abspann zum Königlich Bayerischen Amtsgericht, wenn sich alle mit einer Mass frisch gezapftem Bier versöhnen: „…auf die Guillotin hat unser Herr Rat eh niemanden geschickt.“

[KG-Challenge #6] Historical – Heute darf es ein wenig knistern

Wie sie da nur wieder reingeraten ist? Sie kann nicht wirklich glauben, dass sie hinter einer Bude steht und von einem Mann geküsst wird. Einem wildfremden noch dazu. Und nicht nur das, seine Hände umfassen sie, er streichelt sie … und sie ist verwirrt. Eigentlich darf das alles nicht sein. Sie will das doch gar nicht. Und darf der das überhaupt? Also dürfen zwei Unverheiratete? Das? In der Öffentlichkeit? Hoffentlich sieht keiner her … Aber aufhören, das will sie jetzt gerade auch nicht. Oder doch? Bis grade eben, da hat sich einfach eins fürs andere ergeben. Und es hat ihr auch irgendwie gefallen: schon als sie mit dem Bruder und den anderen auf dem Fest angekommen ist, da hat sie ihn das erste Mal gesehen. Ein großer, dunkelhaariger Kerl. Ein hübscher Kerl. Ganz anders als der Martin, der wohl ihr Ehemann werden soll. So einer, der immer lacht. Der auffällt. Den die Frauen anschauen. Also nicht nur sie, das hat sie gleich gemerkt. Kaum haben sie an ihrem Tisch Platz genommen und bei der Bedienung Bier bestellt, da hat sie gesehen, dass er nur ein paar Bänke weiter sitzt. Und nicht nur ihr ist es aufgefallen, auch er hat sie angeschaut – und dann gelächelt und ihr zugeprostet. Natürlich hat sie gleich wieder weggeschaut. Um dann wieder und wieder und wieder hinzuschauen.

Die anderen essen und trinken und reden. Nur sie ist heute schweigsam. Aber sie ist ja auch nicht zum essen und trinken da. Ihr ist schon klar, dass der Martin sie und ihren Bruder nicht einfach so eingeladen hat, mit auf das jährliche Volksfest zu gehen. Daheim, da sind schließlich immer die Geschwister, der Vater, die Mutter, die Großtante und die Dienstboten um sie herum. Der Martin, der will sie heute was fragen. Und sie weiß immer noch nicht, was sie antworten will. Weil mögen, ja, mögen tut sie ihn schon. Eigentlich. Aber ob sie ihn so gern hat, dass sie ihn gleich heiraten will? Sie weiß doch auch gar nicht, wie sich das anfühlt. Also wenn man das weiß. Dass man einen Mann heiraten will. Und irgendwie sagt da auch keiner was dazu. Alle tun, als ob das dann „halt“ so sein soll. Schon wieder kreisen ihre Gedanken, schon wieder würde sie am liebsten auf und davon laufen. Und dahinten erspäht sie jetzt das Kettenkarussel. Jedes Jahr bauen auf dem Gelände ein paar Fahrgeschäfte auf, Buden, ein Losstand. Sie fragt, ob jemand mitkommen möchte, sie will etwas frische Luft schnappen. Die anderen wollen in Ruhe sitzenbleiben, essen, trinken. Auch der Martin. Da ist sie jetzt sogar ein kleines bisschen froh. So halt.

Sie schlendert los, ist schon nach wenigen Metern verzaubert von allem, was sie zu sehen bekommt. Süßigkeiten, wohin das Auge blickt. Auf dem Kettenkarussel juchzen die Menschen, sie bleibt minutenlang stehen und bewundert, wie die Mitfahrenden mit wirbelnden Beinen lachend durch die Luft fliegen. Da ertönt eine tiefe Männerstimme hinter ihr: „Mogst mitfahren?“ Ohne auf ihre Antwort zu warten umfasst er wie selbstverständlich ihre Taille, trägt sie förmlich die Stufen zur Kasse hoch. Er kauft Bons und schiebt sie zu den anderen Wartenden. Jetzt sitzt er in der Schaukel neben ihr, lächelt sie mit seinen blitzenden Augen verschmitzt an. Als sie nach oben gezogen werden fasst er auch noch ihre Hand. Sie ist vollkommen sprachlos, was traut der sich eigentlich. Aber sie macht nix, schaut ihn einfach nur an. Sie weiß, wer er ist. Er ist der Mann, der ihr vorhin schon aufgefallen ist. Und sie weiß ganz genau, warum er ihr aufgefallen ist. Der hat so was an sich. Beschreiben kann sie das nicht, aber sie spürt es, fühlt es, riecht es.Jetzt fliegen sie, hoch über den Rummel und die ganze kleine Stadt kann sie schauen. Ein herrliches Gefühl, sie beginnt, zu lachen, lächelt ihn an. Sie fühlt sich gerade vogelfrei. Himmlisch ist das. Wieder auf dem Boden angekommen zieht er sie mit einer Hand weiter und spaziert selbstsicher mit ihr zu den gebrannten Mandeln. „Ich kauf uns eine Tüte. Magst schon, gell?“ und strahlt sie an. Immer noch hat sie keine Worte, eigentlich muss sie jetzt gehen. Das weiß sie. Irgendwie. Und wollen würde sie schon. Meint sie. Innerlich.

An der Bude mit den Mandeln bietet er ihr einen Griff in die Tüte, stellt sich im Vorbeigehen hinter sie und flüstert ihr ins Ohr: „Kommst mir nach?“ und geht, ums Eck. Sie ist jetzt irritiert, wo ist er denn hin? Und was soll sie? Aber eigentlich denkt sie gar nicht, sondern geht ihm eben nach. Ein Schritt rum ums Eck und seine kräftigen Arme ziehen sie in eine von allen Einblicken gut geschützte und versteckte Ecke. Ehe sie auch nur einen klaren Gedanken fassen kann strahlt er sie an, „Du, das wünsch ich mir, seit ich dich vorhin am Tisch sitzen sehen hab, dass du mir nachkimmst, mei, schmeckst du so gut, wie ich mein?“ Sprachs und zieht sie ganz nah zu sich heran. Und seitdem küsst er sie. Überraschend schön ist das, und irgendwie konnte sie minutenlang nur genau das denken, wie schön das ist. Ganz anders, als sie sich das immer ausgemalt hat. Und es fühlt sich gut an. Sie öffnet die Lippen, ohne genau zu wissen, warum. Und als ob er nur darauf gewartet hätte fährt er mit seiner Zunge nach vorne, kitzelt, liebkost, neckt. Huch, ihr wird ganz heiß. Tut das gut, was er macht. Das zum Beispiel, was er jetzt gerade wieder macht, sanft umkreist er ihre Zunge, das fühlt sich gleichzeitig fest und weich an. Und jetzt beißt er ein bisschen in ihre Unterlippe, sie will mehr, viel mehr, schmiegt sich an ihn, presst ihren Körper ganz fest an seinen. Wie gut das tut, wie gut er schmeckt … Seine Hand, war gerade noch an ihrem Hals, jetzt aber streichelt er sie ganz woanders, wandert eben von der linken zu rechten Brust, drückt ein bisschen fester zu …. Mmmmmh, schön. Auch, wenn sich ihrer Kehle ein stöhnender Seufzer entringt, der die andere Hand an ihrem Hinterteil noch fester hingreifen lässt: nein, Schluss. Sie schiebt ihn von sich. Jetzt ist er da, der Kopf, ihr scharfer Verstand. Gar nicht so einfach, das alles zu beenden. Vor allem, weil es etwas in ihr auslöst, von dem sie nicht wusste, dass es vorhanden ist. Er steht vor ihr. „Mädel, du kannst mich nicht so stehenlassen …“, aber sie hört nicht mehr, richtet das Kleid, die Haare. Steht herausfordernd vor ihm. Und wo vorher die Worte fehlten schießt ihm jetzt mit klarer Stimme entgegen: „Ganz ehrlich: I kenn ned amal deinen Namen. Wennsd weida mit mir schmusen mogst, dann kimmst di am besten bald amoi vorstellen bei mir!“ Und nennt ihm ihren Namen und wo sie Zuhause ist. Mit einem lächelnden „Pfiade“ tänzelt sie davon. Vor dem Kettenkarussell schaut sie noch mal kurz um, da steht er, hebt grinsend die Hand und winkt ihr nach. Und geht. Mit roten Wangen und erhitzt wie sie ist schwebt sie den Weg, den sie gekommen ist, zurück bis zu ihrem Tisch. Ein bisschen glücklich ist sie. Und ein ganz kleines bisschen traurig gleichzeitig, weil da war was, das hätte sie gerne noch mehr, noch länger, noch intensiver erforscht … Martin begrüßt sie mit seinem eher schüchternen Lächeln. Sie setzt sich wieder zu den anderen und lächelt zurück. In Gedanken irgendwo, woanders.

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Ein fiktiver Beitrag zu den historischen Kurzgeschichten des Schreibkastens. Es knistert, ein bisschen, aber wie das eben im letzten Jahrhundert zu den Jugendzeiten meiner Großeltern so war: es darf nicht zur Sache gehen. Wobei mir ja ein sehr weiser alter Freund öfter mal zu verstehen gibt, dass Küssen die eigentliche Kunst der Verführung ist …

Königlich Bayerisches Amtsgericht

Meine „kleine“ Wochenendfreude: habe auf Youtube 52 Folgen von Georg Lohmeyers „Königlich Bayerisches Amtsgericht“ entdeckt. Das sind 52 mal ca. 24 Minuten feinstes Entertainment für mich. Schon, wenn Gustl Bayrhammers Stimme erklingt: „Es war eine liebe Zeit, die gute alte Zeit vor anno 14. In Bayern gleich gar. Damals hat noch Seine Königliche Hoheit der Herr Prinzregent regiert, ein kunstsinniger Monarch. Denn der König war schwermütig. Das Bier war noch dunkel, die Menschen warn typisch; die Burschen schneidig, die Dirndl sittsam und die Honoratioren ein bisserl vornehm und ein bisserl leger. Es war halt noch vieles in Ordnung damals. Denn für Ordnung und Ruhe sorgte die Gendarmerie und für die Gerechtigkeit das Königliche Amtsgericht.“ Herrlich, wie der Herr Rat, Amtsgerichtsrat Alois Stierhammer, dann Fall für Fall ernst nimmt, Recht von Unrecht trennt – und trotzdem immer rechtzeitig zum Essen kommt. Und die frische Maß ist auch schon eingeschenkt.

Ob es wirklich so verträumt war, wie es scheint? In der bairischen Kleinstadt um die Jahrhundertwende? Ob die Bürger der Stadt und die Bauern der Umgebung wirklich so oft vors Königlich Bayerische Amtsgericht gezogen sind, um ihr gutes Recht zu bekommen? Auch wenn die bayerische Gerechtigkeit etwas persifliert wird, ein Stück weit zeigt die Serie ganz bestimmt was vom Leben in Bayern vor 100 Jahren. Und an Schauspielern ist alles zu sehen, was in Bayern Rang und Namen hat. Für mich Kult, freu mich, mal in Reihe von 1 bis 52 zu schauen.

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