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Familiengeschichten: Anrufe

Entschuldigung, das ist dieses Mal keine der durchaus amüsanten Anekdoten aus unserer Familiengeschichte. Wenn ich einen Anruf während der Arbeitszeit von meinen Familienmitgliedern bekomme, wenn es noch dazu an einem normalen Arbeitstag-Montag um die Mittagszeit ist, dann bedeutet das schlicht nichts Gutes. Vergangenen Montag war meine sehr gefasste Schwester am anderen Ende. Sie meldete sich aus dem Klinikum. Mein Schwager hatte sich morgens nicht wohl gefühlt und ist deshalb – direkt nachdem er Nichte 2.0 wohlbehalten im Kindergarten abgeliefert hat – zum Arzt.

Von dort aus ging es für ihn per Rettungswagen ins Krankenhaus, 3 Stents später lag er auf der Intensivstation. Um sich von einem Hinterwand-Herzinfarkt zu erholen. Sehr überraschend. Und natürlich ist er dafür viel zu jung. Zwischenzeitlich geht’s ihm zum Glück gut, er wartet auf die Informationen zur Reha, wo er sich umfassend zum Thema Ernährung und alles, was sonst noch zum gesunden Leben beitragen kann, weiterbilden wird.

Die beiden Nichten haben den Papa sehr vermisst, durften ihn aber jeden Tag besuchen. Und sie geben ihn jetzt gerne für die Kur frei, weil halt. Puh, war für alle ein richtig großer Schock. Und der sitzt uns allen noch tief drin, muss erst mal verarbeitet und verdaut werden.

Familiengeschichten: Grillen

Grillen ist in unserer Familie so eine Sache: Wir „Kinder“ lieben es, meine Eltern mögen gern Gegrilltes essen, aber der Aufwand, bis der Grill angeheizt ist und bis das dann alles fertig ist … aber trotzdem: hin und wieder grillen wir. Und wenn, dann aber richtig. Denkt zumindest meine Mutter.

Anstatt also an die Leichtigkeit des Grillens zu denken, beginnt sie, in Massen zu planen. Rechnet pro Mitesser Portionen, die schlicht nicht zu bewältigen sind, auch für gute Esser. Dass viel übrig bleibt und dass das an der Vorbereitung von zu viel liegt, das mag sie dann aber immer nicht so recht akzeptieren bzw. argumentiert dann immer sehr unsachlich, dass das bei anderen ja auch so sei …

Kürzlich habe ich mich durchgesetzt und es gab keinen zusätzlichen Kartoffelsalat als Sättigungsbeilage. Meine Brüder und mein Vater haben wie so oft dann das viel zu viel an Fleisch aufgegessen, damit es eben nicht übrig bleibt. Allerdings unter lautem Protest. Ihr egal, „hab ich ja gleich gesagt, dass es nicht reichen wird, hätt ich doch bloß den Kartoffelsalat gemacht.“

PS: mein Schwager, angeheiratet, grillt ja Sommer wie Winter. Am liebsten täglich. Mit einem Gasgrill, für Profis, versteht sich. Und das muss dann sogar meine Mama neidlos anerkennen, dass er, wohl weil so oft, die Portionen recht gut schätzt – weniger Masse, dafür Klasse, oft Fisch und Käse.

Das mit der Höhle

Im Rahmen der Renovierung wird ein ehemaliges Kinderzimmer eine neue Rolle bekommen, es ist das frühere Zimmer meiner verstorbenen Schwester. Seit Jahren wird dieser Raum nur Höhle genannt, denn zu ihren Lebzeiten und auch seitdem war es eine Art Rumpelkammer. Immer schwer, sich zwischen Klamotten, Büchern und sonstigem Krimskrams einen Weg zum Bett zu ebnen … Das mit dem sehr eigenen Ordnungskonzept hatte auch mein Bruder, der die Höhle nach ihr „behauste“, übernommen. Für mich spielt es eine große Rolle, dass wir diesen Raum künftig mehr in unser aller Mitte rücken. Deshalb wird er irgendwann mal (wenn wir dazukommen) eine keine, gemütliche Wohnküche. Ein Ort, um zusammenzukommen, sich beim Essen nett zu unterhalten. Mit einem schönen Blick … Und der liebevollen Erinnerung an einen besonderen Menschen, auch noch in Jahren mit einem Schmunzeln, denn wir werden das Zimmer bestimmt auch weiter Höhle nennen.

[KG-Challenge #10] Historical – Verreisen

train-19640_1280Seufzend legt sie das ordentlich gefaltete Nachthemd auf den Wäschestapel, hakt auch diesen letzten Punkt auf ihrer langen Liste ab. Eine ganze Seite, in Marias feinster Schreibschrift aufgeschrieben steht da, von Strümpfen und Unterwäsche, Arbeitsschürzen, Kopftüchern, Handschuhen und Mützen, von Röcken, Blusen, Westen, Kleidern. Alles hat sie frisch gewaschen, gestärkt, den großen Holzofen in der Küche geschürt, damit sie die sauberen Sachen auch ordentlich plätten konnte. Jetzt liegen die Stöße bereit, in die Tasche und den Koffer gepackt zu werden.

Still lässt sie den Blick durch den Raum schweifen. Ihr Zimmer, ihr eigenes Zimmer. Sogar ein Fenster hat die Kammer, mit Blick in den Hof hinunter. Wie oft haben sie hier als Kinder gesessen und verstohlen beobachtet, was sich vor dem Haus abspielte. Wenn Besucher kamen, den Mägden und Knechten bei der Arbeit zugesehen. Ihr kleines Reich, in das sie sich so oft zurückgezogen hat, auch wenn sie traurig war. Hier liegen seit frühester Kindheit die Schätze versteckt, die sie gefunden hat. Ein gepresstes Veilchen von der Großmutter, der glitzernde Stein und die Flaschenpost aus dem Bach, das wertvolle Kreuz, das sie von der Firmpatin aus Altötting bekommen hat. Ihr Zimmer, das sie sich, seit die älteste Schwester den Hof verlassen hat, nur noch mit den zwei anderen Schwestern teilt.

Wie es wohl sein wird, da, wo sie jetzt hingehen wird. Wie wohl die Menschen da sein werden? Etwas flau ist ihr, im Magen, beim Gedanken, so weit weg von daheim sein zu müssen. Aber sie will lernen, den Vater und die Geschwister stolz machen. Und sie wird ja Briefe schreiben, da wird das Heimweh schon nicht so schlimm sein. Sehnen wird sie sich, nach den anderen. Nach dem Bauernhof, der Arbeit, der täglichen Routine. Da, wo sie hingeht, wird alles ganz anders sein, als hier. Keine gewohnten Abläufe. Keine jahreszeitliche Arbeit auf den Feldern und Äckern. Kein morgens schon vor der Sonne aufstehen, die Tiere verrichten, den Stall sauber machen, Kühe melken, Eier abtragen, dann sitzen sie alle immer zusammen bei der Frühsuppe. Der Vater, die Geschwister, die Mägde und Knechte. Sie seufzt.

Was ihr schon mal nicht fehlen wird? Die immer harte Arbeit im Hopfen. Nicht mal im tiefsten Winter gibt der Ruhe. Oft müssen sie schon im Januar bei eiskalten Temperaturen nach draußen, um Draht aufzuhängen. Dann geht es im Frühjahr ans Ausputzen. Sie muss lächeln, denn dieses Jahr hat die Sonne ihre empfindliche Haut arg aufgebrannt, obwohl sie und die Schwestern immer mehrere Hemden und Kopftücher tragen. Im Frühling ist die Sonne so schön warm, da will man auch mal ein paar Strahlen mit dem Gesicht einfangen. Aber beim letzten Mal, nein, das war zu viel. Tagelang war ihr Gesicht feuerrot. Nein, das wird ihr nicht fehlen. Im Sommer allerdings, wenn es so schön grün ist im Hopfenfeld und so gut riecht. Und da ist es dann auch angenehm schattig … Hm, im September die Ernte, nein, die wird ihr gar nicht fehlen. Von früh bis spät ist das schwere Arbeit, die paar Stunden Schlaf dazwischen? Viel zu kurz.

Sie seufzt erneut. Weil irgendwie wird einfach alles anders sein. Neu. Und so weit weg. Aber sie hat einen Koffer für all die schönen neuen Kleider bekommen. Liebevoll streicht sie über den eleganten Stoff. Und über die schöne, weiche Strickjacke. Das feine Sonntagskleid. Besonders gut gefällt ihr das neue Nachthemd. Weiß, mit feinen Streifen in hell- und dunkelblau. Ihre Lieblingsfarben. Die Farben passen so gut zu ihren Augen, hat einer mal gesagt … Sie seufzt nochmal. Dann packt sie die Tasche fertig, klappt den Kofferdeckel zu, schnürt die Schuhe, zieht den guten Mantel an. Und macht sich auf den Weg nach unten, um „Pfiad Gott“ zu sagen.

Im Hof wartet der Wagen, der große Bruder hat die beiden Haflinger angeschirrt, alle haben sie die Pferde ordentlich herausgeputzt, am Geschirr hängt sogar ein Hopfensträußchen. Daneben stehen die Brüder, die Schwestern, die Mägde und Knechte, alle laufen noch ein Stück mit und winken ihr mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu. „Bis bald!“, „Komm gsund wieder!“, „Behüt dich Gott!“ rufen sie ihr zu. Sie verkneift sich einen Schluchzer, lacht und winkt zurück. Die Strecke bis zum Bahnhof bringt sie der Vater. Ach, wär das schön, eines der modernen Automobile zu haben. Im Dorf, da gibts welche. Aber der Vater will kein Automobil kaufen, er braucht doch Maschinen, und das kostet alles sehr viel Geld. Nur so nobel zum Zug gebracht werden, das hätte sie schon schön gefunden. Wie eine Dame. Aber so geht es auch. Und weit ist es ja nicht gerade. Am kleinen Landbahnhof gibt sie dem Vater die Hand zum Abschied und schaut ihm nach, wie er nach Hause fährt. Die Wartezeit vertreibt sie sich verlegen, indem sie scheu die anderen Wartenden beobachtet. Irgendwann genießt sie aber verträumt die Herbstsonne, die vom strahlendblauen Himmel leuchtet. Warm ist es. Dann kommt das Bockerl, eine schnaufende Dampflok zieht mindestens 4 Waggons. Sie steigt ein, sucht sich einen Sitzplatz, stellt Tasche und Koffer neben sich ab und setzt sich. „Sei brav, sei bescheiden, sei sittsam, sei leise, sei gehorsam!“ hallt die Stimme des Vaters durch ihren Kopf. Dabei möchte sie zu gern ihre Mitreisenden beobachten. Wie gern hätte sie sich unterhalten, aber das schickt sich nun mal nicht für ein junges Mädchen, das allein auf Reisen ist.

Eigentlich sollte ja auch die Tante sie begleiten, nur hat sie sich bei der Feldarbeit den Fuß gebrochen. Beim Gedanken daran kommt ihr doch ein verschmitztes Lächeln aus, alle kümmern sich liebevoll um das arme Hinkebein. Zum Glück war es ein unkomplizierter Bruch, der wahrscheinlich wieder gut verheilen wird. Dann wollte ihr der Vater doch glatt die Magd Bertha als Reisebegleitung oder besser Anstandsdame aufhalsen. Ha, das hätte was werden können. „Dumme Bertha“ nennen die Schwestern und sie die dicke Frau nicht ohne Grund. Die verläuft sich ja schon auf dem heimischen Bauernhof, wie wollte die denn die Orientierung auf einem Weg von mehr als 50 Kilometern behalten? Sie grinst, hält aber erschrocken inne, als sie ihr Spiegelbild im Fenster entdeckt. Nein, sie will dem Vater keinen Kummer machen, blickt jetzt ernst und stur aus dem Fenster. Auf die Aufforderung „Ihren Fahrschein, Fräulein“ reagiert sie deshalb irritiert erst, als der Schaffner sich vor ihr aufbaut und ihr laut ins Ohr schreit.

Beim Umsteigen in der kleinen Stadt findet sie nicht gleich das richtige Gleis, muss einen Mann fragen, der sie zunächst abschätzend mustert, dann aber doch hilft. Denn hier hat sie nur eine Viertelstunde Zeit. Geschafft, sie sitzt im Schnellzug, schon ertönt der Pfiff und die Dampflok nimmt schnell Tempo auf. Draußen fliegt das flache Land nur so vorbei, ganz anders als das heimische Hügelland ist es hier. Angekommen in der großen Landeshauptstadt weiß sie zum Glück, wo die kleine Bahn in den Westen abfährt. Hier war sie schon einmal mit Onkel und Tante. Sie nimmt in einem großen Abteil Platz, packt ihre Brotzeit aus – und muss lächeln. Da hat ihr die ältere Schwester doch wirklich ein Ei dazugelegt. Wie sie sich freut, über diese kleine Überraschung. Das Butterbrot schmeckt ihr mit Ei einfach am besten. Und was ist das? Da hat die andere Schwester ihr doch wirklich ein paar frische Beeren gesammelt. Hm, sie schließt genussvoll die Augen und freut sich an der Süße. Sie schaut sich um, kaum ein Platz ist mehr frei. Jetzt sind es nur noch ein paar Stunden über die Dörfer. Es ist längst später Nachmittag geworden. Hoffentlich kommt sie rechtzeitig, denn die Schulpforte schließt abends, was soll sie machen, wenn sie vor verschlossener Tür steht? Ohweh. Eine Dame im altmodischen Kostüm, wie sie es schon bei einer der Mägde gesehen hat, die sich für das Oktoberfest herausgeputzt hatte, setzt sich neben sie, fragt freundlich, wohin sie unterwegs ist. „In die Haushaltungsschule nach Markt Indersdorf fahr ich.“ „Ach, wie schön, dann bist du wohl unsere neue Schülerin? Ich bin eine deiner Lehrerinnen. Mein Name ist Fräulein Müller. Dann freu ich mich über deine nette Gesellschaft.“

Und tatsächlich vergeht die Zugfahrt jetzt wie im Flug. Die Lehrerin macht sie auf besonders schöne Kirchen aufmerksam, nennt die Namen der Dörfer und erzählt allerlei über die Gegend, durch die sie reisen. Und irgendwann stellt sie ihr Fragen, über die Familie, den Bauernhof, die Dörfer und will alles über ihre Heimat, die Hallertau, wissen. Wie gut, dass sie sich begegnet sind, denn sogar die halbe Stunde Fußmarsch ist jetzt kurzweilig, da sich die Maria und das Fräulein Müller so viel erzählen haben. Und am Schulgelände angekommen weiß sie schon viel über den Tagesablauf, den Speisesaal, die Aufgaben. Und ein paar kleine Geschichten über ihre Mitschülerinnen in der neuen Schule hat sie auch schon gehört.

An der Pforte angekommen verabschiedet sich Fräulein Müller von ihr, aber nicht für lange, denn schon beim Abendbrot werden sie sich wiedersehen. Eine freundliche Schwester versorgt Maria mit Büchern und Bettwäsche. Sie bekommt 2 Handtücher, 2 Schürzen und 2 schöne blaue Schreibhefte. „Da trägst du deinen Namen und das heutige Datum ein. Und ab sofort schreibst du jeden Tag auf eine Seite, alles, was du gelernt und getan hast.“ Die Nonne bringt Maria in den Schlafsaal und zeigt ihr Schrank, Bett und den Waschraum. „Du hast Zeit, auszupacken und dich zu waschen, komm in einer halben Stunde in den Speisesaal. Die Glocke läutet für alle.“ Sie schaut sich um, packt den Koffer aus, räumt ihre Wäsche ordentlich in die Kommode, die Kleider, Jacken und den Mantel hängt sie auf die Bügel. In das kleine Nachtkästchen kommt der Rosenkranz, das Gebetbuch. Und die Kette mit dem filigranen Blütenanhänger, das Schmuckstück ist ihr wert und teuer, die verstorbene Mutter hat es getragen. Der Vater hat es ihr mit auf die Reise gegeben. Versonnen blickt sie auf die anderen Betten, irgendwo hört sie ein Lachen. Und jetzt macht sich auf, sie hat Hunger. Und neugierig ist sie auch, auf die Menschen, die ab sofort zu ihrem Leben gehören. Später wird sie eine Brief schreiben, an zu Hause. Sie wird ihnen schreiben, dass sie gut angekommen ist. Und dass sie fleissig und eifrig lernen wird. Und dass sie ihr schreiben sollen, der Vater und die Geschwister, damit sie mitbekommt, was zu Hause passiert.

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Carola vom Schreibkasten hat unter [KG-Challenge #10] zu einer Kurzgeschichte zum Thema „Historische Reise“ aufgerufen. Mein Beitrag ist eine fiktive Geschichte, die allerdings einen wahren Kern enthält, denn tatsächlich hat meine Großmutter vor knapp 85 Jahren ihre Heimat in der Hallertau verlassen, um im „fernen“ Markt Indersdorf die Haushaltungsschule zu besuchen. In blauen Schreibheften hat sie jeden einzelenen Tag in ordentlichen Notizen festgehalten. Und ein paar Briefe sind bis heute erhalten, an den Vater zu Hause, mit Grüßen an Familie und die Nachbarschaft.