Aus einem Gespräch während einer Autofahrt im Sommer letzten Jahres mit der bezaubernden Nichte hab ich einen Gedanken mitgenommen, den ich schon länger in Worte fassen möchte: jeder glaubt anders. Ob es Gott gibt. Wie man Religion für sich interpretiert. Jede Entwicklung ist individuell. Auch wenn Kinder als Geschwister in einer Familie aufwachsen und die selbe Religion kennenlernen bedeutet das noch lange nicht, dass für sie Religion und Glauben gleich sind … wisst ihr, was ich meine?
Am einfachsten ist wahrscheinlich, wenn ich euch das am Beispiel der Patenkinder verdeutliche: Wenn Mademoiselle (7) gefragt wird, wie sie sich Gott vorstellt, antwortet sie: „Er hat einen weißen Mantel und einen Bart. Er hat Füße und Hände.“ Monsieurs (12) Vorstellung hat nichts mit einem menschlichen Körper zu tun: „Wie Nebel, man kann ihn nicht sehen aber er ist einfach da.“ Auf die Frage „Wo lebt Gott?“ antworten beide gleichzeitig und unisono: im Himmel. Beim Thema „Wo ist Gott?“ ist für Mademoiselle klar, dass er überall da ist, wo Menschen Hilfe brauchen, Monsieur dagegen meint: bei den Engeln.
Was es beiden bedeutet, in die Kirche zu gehen? Mademoiselle verbindet mit dem Kirchgang etwas Heiliges, sie hat das Gefühl, ganz nah bei Gott zu sein, Monsieur mag es, in der Kirche zu sein, vom Alltag loszulassen und in die Welt Gottes einzutauchen. Beide haben ihren ganz eigenen Zugang zum Glauben, obwohl sie in einer Familie aufwachsen, machen sich über die Erziehung hinaus eigene Gedanken und finden so ihren eigenen Zugang.
Auch die bezaubernde Nichte beschäftigt sich mit dem lieben Gott, der ist für sie ganz selbstverständlich und einfach nur gut. Genauso wie sie an den Himmel glaubt, da sind ja alle schon Verstorbenen, die sie noch kannte, wie die Uroma und der Opa, aber auch ihre Tante und alle anderen Familienmitglieder, über die wir öfter erzählen. Aber von der Kirche bzw. vom regelmäßigen Kirchgang ist sie nicht überzeugt, „das machen wir halt nicht so“. Sie geht lieber so mal in eine Kirche, zündet eine Kerze an, oder gießt die Gräber auf dem Friedhof.
Für mich gehörte der Kirchgang als Kind selbstverständlich dazu, genau wie das Tischgebet. Ich fand es bis zu einem gewissen Alter schön, die Gebete, die Abläufe, der Gesang. Das war für uns Kinder ein Lernen, ein Hineinwachsen in Strukturen. Die erste Bank für die Erstklässler, jedes Schuljahr kam die nächste Bank. Nach der Kommunion dann das Mitlaufen nach vorne, um die grässlich schmeckende Oblate zu empfangen. Ungefähr zu der Zeit regte sich zum ersten Mal Widerspruch in mir, das mit dem Beichten wollte mir nicht gefallen. Warum sollte man dem Herrn Pfarrer Sünden berichten? Und ist ein kleines Schwindeln wirklich eine Sünde, über die ein Wildfremder urteilen darf?
An was ich davor geglaubt habe weiß ich nicht mehr wirklich. Der liebe Gott war gut, ich habe mich in meinem Glauben einfach behütet gefühlt. Es war nicht die Religion, die Deutung, an die ich geglaubt habe. Sondern eine gütige Gottheit, eine Kraft, ein Überwesen, das seine schützende Hand über mich und meine Lieben hält. Am Glauben an das Gute, an christlichen Werte wie Nächstenliebe, und auch die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod im Himmel, das habe ich mir erhalten. Mit der Kirche kann ich mich seit meinen Teenagertagen bis heute in den Abläufen arrangieren, mag den oft feierlichen Aspekt der Messe. Und ich genieße die Musik. Meistens.
Vor allem genieße ich aber seitdem die Architektur, die Ausstattung. Und wie als Kind kann ich mich wunderbar im Beobachten ablenken, ein Deckenfresko oder Altarbild bietet auch beim 1000. Mal Betrachten bestimmt noch die ein oder andere Überraschung. Wenn ich zuhöre begebe ich mich manchmal auf einen innerlichen Disput mit den Inhalten, dem Content dessen, was die Geistlichen da manchmal von sich geben. Und frage mich dabei manchmal doch sehr, was das alles mit dem Glauben auf sich hat, was die Kirche so tut …
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Ein Beitrag zum Schreibprojekt von Miss O’Laugh.