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Figurprobleme

Die Vorweihnachszeit, es ist kalt draußen, überall liegen Plätzchen, auf den Christkindlmärkten lockt fettes Essen. Da mach ich mir heute mal Gedanken über das Thema Figur und Gesundheit. Der Anlass meiner nachdenklichen Stimmung hat aber gar nichts mit der Jahreszeit zu tun. Hab heute morgen nur mehrere Stunden in der Autowerkstatt meines Vertrauens verbracht, mein geliebter Peugeot weigert sich in diesen Tagen, das reichliche, auch mit Frostschutz versehene Spritzwasser auf meine Scheibe zu transportieren, War die letzten Tage im Blindflug und mit vielen Säuberungspausen unterwegs. Deshalb der Besuch heute morgen, damit ich endlich wieder klare Sicht bekomme.
Beim Warten kommt eine Frau auf den Hof gefahren. Sie steigt etwas umständlich aus, kommt rein, grüßt in die Runde, man kennt sich. Und beschwert sich lachend, dass der Sitz im Auto von Tag zu Tag mehr schrumpft. Sie passe da einfach nicht mehr rein, ob das bestellte Sondermodell bald geliefert werde? Wir kommen ins Gespräch, sie hat in den vergangenen 2 Jahren mehr als 100 Kilo zugenommen. Ist in ärztlicher Behandlung, aber keiner weiß so recht, woran es liegen könnte. Sie wäre nie zu dünn gewesen, immer ein paar Kilo mehr auf den Rippen. Jetzt sei das aber deutlich zu viel, sie mache aktuell eine Ernährungskur, bislang ohne Ergebnis. Und um sich wenigstens etwas Freiheit zu erhalten bekommt sie eine Sonderanfertigung für einen Autositz. Um es beim Autofahren bequem zu haben.
Anschließend war ich im Supermarkt, habe dort eine Frau in den 40ern gesehen, die im Körper eines kleinen Mädchens „steckt“. Das Frausein verkörpert sie durch dicke Schminke, hohe Absätze, lange Fingernägel, stylische Klamotten. Aber sie trägt eine Jeans in Kindergröße. Neben ihr zwei Kinder, beide noch keine 10 Jahre alt. Ihre vielleicht 8jährige Tochter hätte ihre Jeans tragen können.
Bei der Fahrt übers Land habe ich dann wieder einmal ein etwa 17jähriges Mädchen gesehen, das sommers wie winters an der Hauptstraße entlang spazieren geht. Nicht etwa, um die Schönheit der Natur zu genießen, dafür hat sie kein Auge. das as sie macht hat auch nichts mit Sport oder Spaß an der Bewegung zu tun. Sie hat entweder etwas zu lesen dabei oder beschäftigt sich mit einem Tablet PC. Sie läuft scheinbar ohne Ziel, einfach nur um zu laufen. Der Blick ist konzentriert, nach unten, vollkommen vertieft in das, was sie während des Spazierengehens tut. Sie ist meistens schick gekleidet, trägt im Sommer schöne Kleider, moderne Shirts, heute hatte sie ein Strickkleid über Leggins und Boots, darüber ein Fellwestchen – sehr schick, nur leider schlottert alles an ihr. Denn sie ist viel zu dünn. Statt Beinen hat sie Striche, aus kurzen Ärmeln schauen magere Ärmchen heraus. Sie läuft, aber mit einer extrem schlechten Körperhaltung. Nicht nur der Blick ist abwesend, auch ihre Haltung signalisiert, dass sie nicht spazierengeht, um spazierenzugehen. Wahrscheinlich läuft sie, um ihrer Krankheit davonzulaufen. Ihr Körper IST krank, vielleicht auch ihre Seele.

Das sind 3 kranke Frauen, jede auf ihre Art: eine isst normal, durch eine Krankheit nimmt sie kolossal zu und wünscht sich nichts sehnlicher, als normal zu sein. 2 andere hungern, um einem Ideal (welches auch immer das sein mag) nahezukommen. Nichts davon ist schön! Und bezüglich der beiden zu dünnen Wesen: Ich wünsche mir bei solchen Beobachtungen immer eine bessere Gesundheitsaufklärung, über die Organschäden, die nicht essen verursacht, über die Beschwerden, die eine miserable Körperhaltung verursacht, über Genuss und ein gesundes Körpergefühl. Die Frau heute morgen hat ihre Lebenslust trotz krassem Übergewicht noch nicht verloren, und sie ist bereit, dafür viel zu tun …

Essen gegen Langeweile

Immer wieder stolpere ich über Berichte, wie dicke Kinder lernen, sich gesund zu ernähren. Und frage mich dann, ob es wirklich so ist, dass Kinder mit unter 10 Jahren Verantwortung übernehmen müssen? Oder können? Für den Einkauf und fürs Kochen?
Kürzlich in einem TV-Beitrag: Dem kleinen Korbinian hilft eine Box mit Beschriftung „Ich esse nicht, weil mir langweilig ist“. Drin je ein Zettel mit einer Aktivität: Sport, Lesen, Hörbuch, Radfahren steht da drauf – und das macht er dann anstatt zu naschen…?

Als Kind kam mir bei Hunger nicht der Gedanke, mich vom Essen ablenken zu müssen? Ich hatte Hunger, weil ich vorher aktiv war. Über Spielen, Herumtoben, Draußensein, Abenteuer erleben und allem, was unseren Tag bestimmt hat, haben wir auch manchmal den Hunger schlicht vollkommen vergessen. Klar, wir haben 10-Pfennig-Stücke gesammelt, um uns im Sommer die besondere Leckerei 10erl-Eis (wer kann sich daran erinnern? Eine Köstlichkeit für Kinder: gefrorenes Zuckerwasser in allen Farbschattierungen, Geschmacksverstärker jenseits jeder Akzeptanzgrenze, aber himmlisch und bitte immer viel davon) zu leisten. Im Winter gabs einen Kaba, nur den Echten, von der Oma zubereitet, bloß keine Haut auf der Flüssigkeit, sonst war der Genuss komplett vernichtet und das getränk musste leider stehenbleiben.

Aus Langeweile essen kannte ich als Kind nicht, in meiner Familie ist es üblich, sich zum Essen an einen Tisch zusammenzusetzen. Auch beim Frühstück wenn möglich, zum Mittagessen sowieso und die schönste Mahlzeit des Tages für uns als Kinder: die Brotzeit. Klar mochte – besonders ich – nicht immer jeder alles, was da auf den Tisch kam. Aber zum Glück gabs am nächsten Tag eine Alternative. Und wir haben auch genascht, mal, mit Genuss. Aber nicht aus Langeweile, sondern eher als Ausnahme, Belohnung, zu besonderen Anlässen – eben einfach nicht unbedacht.

Hätte ich als Kind selber meinen Speiseplan bestimmen können? Hätte es unter Umständen über Jahre eine frische, resche Semmel (hochdeutsch Brötchen) und dazu eine Banane gegeben. Morgens, mittags, abends. Das war meine Leibspeise, die meine Familie zum Glück nicht täglich im Programm hatte … Oder meine vegetarisch-vegane Phase als etwas naiver Teenager: einfach wochenlang auf tierische noch sonstige Produkte verzichten, also eigentlich gar nichts essen. Nicht nachahmenswert, obwohl die Unwissenheit in meinem Fall zum Glück keine Krankheiten oder langfristigen Mangelerscheinungen ausgelöst hat: nach etwa zwei Monaten ist mir der Kreislauf weggeklappt, ich habe angefangen, wieder etwas zu essen und da war dann auch mal Fleisch, Ei, Milch oder Wurst dabei. In Maßen, und so halte ich das eigentlich bis heute.

Dass man Kindern, die sich falsch ernähren hilft, ist logisch, aber ich frage mich bei entsprechenden Berichten trotzdem, ob es nicht vielmehr eine Kombination sein muss, ein Coaching für das Kind, um es an eine vernünftige Ernährung heranzuführen, ein Coaching für die Eltern, die Familie, damit die vernünftige Ernährung im Umfeld des Kindes natürlich ist und gelebt wird. Und dass ein 10jähriger selbst einkaufen gehen muss, weil seine Familie ihm keine vernünftige Ernährungsumgebung bietet? Für mich irgendwie nur eine Teillösung.