Heute ist der 99. Geburtstag meiner Oma. Würde sie noch leben wäre heute die Bude voll, die ganze Großfamilie und sicherlich ein paar Repräsentaten der örtlichen Polit-Prominenz. Ist ja gerade Kommunalwahlkampf. Kann mich an einen der letzten Geburtstage erinnern, es muss wohl der 90. gewesen sein? Ein Geschenkkorb nach dem anderen. Ihr Kommentar war nur, dass sie das alles gar nicht wolle, auch nicht die vielen Blumen. Und sie saß dann etwas missgelaunt inmitten ihrer Gästeschar, viele, die sie nicht (mehr er)kannte. Nur bei einigen wenigen Gästen, da hat sie sich gefreut. Über ihren alten Schulfreund, der zum Ratschen vorbeigekommen ist. Und über ihre Schwester. Und den Herrn Pfarrer.
Mir schwirrte heute morgen beim Aufstehen die Frage durch den Kopf, was sie, die so viel in ihrem Leben erlebt hat, wohl von Dingen wie WiFi, Mobilfunk & Sozialen Netzwerken halten würde. Sie war eine sehr kluge Frau, gebildet, konnte im hohen Alter noch Gedichte aufsagen, die sie als Kind gelernt hatte. Sie hat während zweier Weltkriege gelebt, ihre Mutter früh verloren, wurde vom Vater sehr streng erzogen, war Teil einer großen Geschwisterschar. Von denen 4 zusammenblieben, nicht heirateten oder wegzogen, sondern zuhause gemeinsam den Hof bewirtschafteten. Sie selbst hat meinen Opa nach seiner Rückkehr aus dem Krieg geheiratet und zwei Kinder bekommen. Wohnte nur 15 Minuten Fußweg bergauf von ihrem Elternhaus. Das sie gerne und oft besuchte. Eigentlich jeden Sonntag hat sie uns Enkelkinder eingepackt und ist mit uns die Großtanten und -onkeln besuchen gegangen. Das war ihr soziales Netzwerk, persönlich gepflegt. Das Telefon war ihr zeitlebens suspekt, nur, wenn sie auf Kur war, dann hat sie das schon ganz gerne mal in die Hand genommen. Für kurze Anrufe, ist alles in Ordnung, geht es allen gut. Gut.
Die Kriegsgeneration hat viel erlebt. Aber wenig darüber gesprochen. Wäre das anders gewesen, hätten Sie Internet, Chatfunktionen, Blogs, etc. gehabt? Es gibt einige wenige, die ihre Erinnerungen zu Papier gebracht haben. Aber die große Masse hat es vorgezogen, zu schweigen. Ich vermute, um den Ängsten, dem Grauen, dem Erlebten eine Grenze zu setzen. Sobald man darüber spricht werden Erinnerungen wieder lebendig. Und die Generation meiner Oma wollte das nicht noch mal und noch mal und noch mal durchleben. Jeder hatte seine eigene Geschichte. Und manchmal finde ich schade, wie wenig ich von ihrem Leben weiß. Weil sie vorgezogen hat, nicht viel zu erzählen. Ich akzeptiere, dass sie in der Gegenwart gelebt hat, statt in der Vergangenheit …
Dem kann ich nur beipflichten. Meine Großväter waren während des 2. Weltkriegs noch halbe Kinder und einer davon musste trotzdem schon in den Krieg nach Russland. Erzählt hat er davon aber nie, zumindest habe ich ihn nicht darüber reden gehört. Meine einzige noch lebende Oma ist sehr ländlich aufgewachsen und hat daher auch nicht viel mitbekommen, aber das wenige hat schon genügt, sie erzählt sogar noch davon wie sie Kerzen angezündet und gebetet haben wenn ein Flugzeug über sie hinweggedonnert ist.
Alles Liebe zum 99. Geburtstag! Ich hoffe sie kann ihn dort, wo sie jetzt ist, mit allen Menschen feiern die ihr lieb und teuer sind.
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Dankeschön, das tut sie bestimmt – das mit den halben Kindern muss echt heftig gewesen sein. Meine Urgroßmutter hat 2 Söhne verloren, 16 und 17. Habe kürzlich mal entrümpelt und den Brief gefunden, mit dem man den Angehörigen das Ableben mitgeteilt hat. Er ist am 1. Tag seines Fronteinsatzes „gefallen“.Die Geschichte deiner Oma berührt mich sehr – genau das ist es: das wenige hat schon genügt. Liebe Grüße
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Meine Mutter ist in Bezug auf ihre Kindheits-, Kriegs- und Nachkriegserinnerungen sehr mitteilsam gewesen – sie hat uns diese dreimal täglich äußerst ausführlich stets zu den Mahlzeiten präsentiert, und immer wieder durchgekaut, bis mein jüngerer Bruder und ich diese Endlos-Wiederholungen nicht mehr anhören konnten. Das hat uns für etliche Jahre das Interesse an der neueren deutschen Geschichte gründlich verdorben. 😉 Als ich ihr einmal den Vorschlag machte, all ihre Erinnerungen aufzuschreiben, und als Buch anzubieten, ich würde gerne das Lektorat übernehmen, reagierte sie sehr beleidigt… 😉
Was für eine stattliche Persönlichkeit deine Großmutter gewesen sein muss! Danke, daß du uns ein wenig an ihrem Wesen, ihrem Leben teilhaben lässt…
♥liche Grüße!
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So unterschiedlich, das verblüfft mich echt. Hab ich bislang selten gehört, dass jemand so mitteilsam war. Und schade eigentlich, dass sie dein Angebot abgelehnt hat? Ja, meine Oma war stattlich, sehr stolz, dabei aber auch sehr lustig. Und solang man sich an ihre Vorstellung von gut und richtig gehalten hat sooo liebenswert. Ganz liebe Grüße
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Dann kommt ja bald der 100. auf euch zu. Bei meiner Oma was das der Anlass für ein schönes Verwandschaftstreffen. Das kann ich nur empfehlen. Den Omas hätte das bestimmt gefallen.
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Schöne Idee, werde ich mal im Verwandtenkreis ansprechen. Wir hatten ja alle auf den 100. meiner Großtante spekuliert – aber die hat sich dann mit 99 anders entschieden. Liebe Grüße von Doris
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