Verlieren


Manchmal muss man im Leben einen Menschen verlieren, um festzustellen, dass er einem wirklich fehlt …

Manche Menschen verschwinden einfach aus einem Leben. Gerade als Kind schließt man schnell Freundschaften. Eltern kennen sich, Kinder spielen miteinander, man freundet sich an oder ist Spielgefährte. In der Kindergruppe, im Kindergarten, Grundschule – immer begegnen uns neue interessante Menschen. Mit manchen bleibt man verbunden, ich glaube aber, dass es wenige Menschen gibt, die aus dieser Zeit noch viele Freunde in ihrem späteren Leben haben? Ich habe tatsächlich eine Kindergartenfreundin, habe noch Kontakt zu Nachbars“kindern“. Aus Grundschulzeiten habe ich kaum mehr Kontakte, ok, hin und wieder begegne ich alten Schulkameraden, wenn ich bei meinen Eltern bin, einkaufen gehe, unterwegs bin. Aber das ist doch eher selten.

Es ist der Lauf der Zeit, dass man Freunde findet und diese auch wieder verliert. In den meisten Fällen war es in meiner Kindheit aber eher so, dass das Verlieren nicht aktiv war. Oft hab ich mich entfernt, die Freunde sind „weitergezogen“. Das Verlustgefühl hielt sich sehr in Grenzen, denn die nächste Freundschaft hatte quasi schon begonnen.

Als ich in der dritten Klasse war, hab ich einen Klassenameraden verloren, der an Leukämie starb. Er war kein Freund, aber ich mochte ihn. In der fünften Klasse starb eine ehemalige Mitschülerin bei einem Verkehrsunfall. In den Jahren danach ist es häufig vorgekommen, dass ich Menschen verloren habe, Freunde, die weggezogen sind, auch Freunde, die gestorben sind. Mich haben dabei immer die verlorenen Gelegenheiten am meisten beschäftigt, also: schade, dass ich beim letzten Mal nicht nett war. Dass ich mir nicht mehr Zeit genommen habe – denn anders als bei einer Freundschaft, die vergeht, kann man im Todesfall nicht sagen, es gibt noch eine Chance, sich später noch mal anzunähern?

Verlust bedeutet immer, dass ein Stück Erinnerung bleibt, etwas, das man aufbewahrt, als kostbares persönliches Bild ganz tief im Inneren. Manchmal kann man es teilen, aber meist können die, denen man es gerne mitteilen würde, gar nicht erfassen, was man erzählt, denn sie kannten den Menschen nicht – oder anders. Seine eigene Erinnerung teilt man nur mit dem Menschen, den man verloren hat. Auch wenn dadurch der Verlust nicht geringer wird, irgendwann kann man mit Liebe und einem sehr warmen Gefühl an den denken, den man verloren hat. Und hält ihn und seine Eigenart dadurch ein Stück weit lebendig …

Das liest sich jetzt möglicherweise etwas wirr, aber mir hilft es gerade, meine liebevollen Gedanken an meinen alten Freund und Weggefährten einer ganzen Dekade hervorzuholen. Den ich, obwohl wir uns schon vor einigen Jahren voneinander verabschiedet haben, heute verloren habe. Ohne noch mal gemeinsam zu lachen, Gedanken zu teilen, zu reden oder uns ohne Worte zu verstehen. Der seinen Platz in meinem Herzen hat und in meiner Erinnerung lebendig bleibt.

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